Eismord
Ordnung. Gute Nacht.«
»Hören Sie, Henry …«
Henry griff nach seinem großen Parka neben der Küchentür. Die Hand über dem Haken, hielt er inne.
»Ich dachte, vielleicht decken Sie zum Frühstück für zwei.«
Henry drehte sich um und betrachtete Lloyd, das stille Haus und das nachtschwarze Küchenfenster. »Erwarten Sie am Morgen einen Gast?«
»Quatsch.« Lloyd wedelte mit der Hand vor dem Gesicht herum, als wollte er den Gedanken an Besucher wie Ungeziefer vertreiben. »Ich dachte nur, vielleicht ist es nicht richtig, dass Sie ganz allein da draußen in Ihrer Hütte essen.«
»Wieso nicht? Sie essen doch auch hier drinnen ganz allein.«
»Eben. Ist doch irgendwie blöd. Außerdem mag ich zwar im Leben Glück gehabt und gut Geld verdient haben und so, aber ich bin nicht mit dem Silberlöffel im Mund geboren. All die Jahre, in denen ich die Firma geleitet habe, hatte ich keinen einzigen Bediensteten – außer der Putzfrau –, und ich hatte auch jetzt eigentlich nicht die Absicht dazu.«
Henry schlüpfte in seinen Parka und verschränkte die Arme vor der Brust, so dass der Stoff raschelte. »Sehen Sie hier irgendwo einen Bediensteten? Ich kann keinen entdecken. Ich sehe einen alten Mann, der draußen im Wald lebt und jemanden braucht, der ihm zur Hand geht. Ich bin dazu bereit, und er hat das Geld, mich zu bezahlen. Ist einfach nur Arbeit. Wozu es anders nennen?«
»Ich weiß, aber ich hab ein blödes Gefühl dabei. Nicht dass Sie glauben, ich wollte quatschen. Das ewige Gequassel hat mich ja erst hier herausgetrieben.«
Henry sah einen Moment zu Boden, dann wieder hoch. »Ich weiß Ihre Überlegungen zu schätzen, aber im Prinzip würde ich es gern bei dem alten Arrangement belassen. Ich mag meine Baracke, hab noch nie so hübsch gewohnt.«
»Na schön, wenn Sie unbedingt mein Sklave sein wollen, will ich mich nicht beklagen. Dann also gute Nacht.«
»Gute Nacht,
Master.
«
»Master.«
Lloyd nickte. »Sehr witzig.«
Henry ging zur Tür hinaus. Es brauchte eine Weile, doch irgendwann drang der Schwall Winterluft bis ins Wohnzimmer und an Lloyds feuchten Kopf. Er zog den Morgenmantel über seiner knochigen Brust enger zusammen und griff zu seinem Buch. Vom Feuer, das Henry auf dem Kaminrost angefacht hatte, wurden ihm die Füße zu heiß, und so schlüpfte er aus seinen Pantinen.
Er hörte, wie die Tür zur Baracke aufging, und sah den Lichtkegel auf dem Schnee, bevor sich die Tür wieder schloss. Er widmete sich erneut seinem Buch. Jetzt war nichts mehr zu hören außer dem Knarren der Fugen im Haus, die sich an die winterliche Kälte anpassten.
Noch bevor er den Mantel auszog, wusste Henry, dass es in der Baracke viel kälter war, als es sein sollte. Der Holzofen glühte noch, und er spürte die Wärme, die davon ausging, auf drei, vier Meter Entfernung, dennoch schlug ihm gleichzeitig von drinnen zu kühle Luft entgegen. Er hängte seinen Mantel an einen Haken, dann den Schal darüber, zog die festen Schuhe aus und schlüpfte in die mit Perlstickerei geschmückten Mokassins.
Das Hauptzimmer war ein Wohnraum mit einer Kochnische, einem Esstisch sowie einer Sitzecke mit ein paar Sesseln und einem Sofa. Wenn Lloyds Jagdhotel in zwei Jahren eröffnete, würden hier vier männliche Angestellte wohnen. Es gab zwei Schlafzimmer, jedes mit zwei Betten. Henry merkte, dass ihm die kalte Luft aus dem rechten Zimmer entgegenschlug, und so lief er dorthin. Als er den Lichtschalter berührte, packte ihn eine Hand am Unterarm, während sich ihm die Mündung einer Pistole unters Kinn drückte. Der Eindringling musste durch das vom Haupthaus abgewandte Schlafzimmerfenster eingestiegen sein. Denn trotz des frischen Schnees hatte Henry draußen keine Spuren entdeckt.
Der Mann dirigierte Henry mit vorgehaltener Pistole zum Essbereich. Henry war einmal stark gewesen, doch nach den Jahren als Alkoholiker war das vorbei.
»Setzen«, sagte der Mann. Er war jung, vielleicht Mitte zwanzig, mit dieser Art mächtigem Schnauzbart, den sich Schauspieler ankleben, wenn sie Bankräuber im Wilden Westen spielen.
Henry setzte sich auf den Stuhl nahe der Tür. Das brachte zwar nichts, weil aus dem anderen Zimmer zwei weitere Männer kamen, einer ein Junge von etwa sechzehn Jahren, der andere etwa Ende fünfzig, der etwas Militärisches an sich hatte.
»Gut gemacht«, sagte dieser und nickte dem ersten Mann zu. Er nahm Henry gegenüber Platz und fragte ihn nach seinem Namen. Weder in bedrohlichem noch in
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