Eismord
frische Jeans angezogen und stopfte die andere gerade in eine Einkaufstüte. Ihr Bruder war mit einem iPod oder einer ähnliche Cyber-Droge vollkommen weggetreten.
»Ich möchte bleiben«, sagte Mrs. Doucette.
»Ihre Tochter ist achtzehn«, antwortete Cardinal. »Ich muss unter vier Augen mit ihr sprechen.«
»Sie sollte einen Anwalt haben.«
»Beamte am Tatort haben sich davon überzeugt, dass sie auf einen Angriff reagiert hat. Ich gehe nicht davon aus, dass wir irgendeine Anklage gegen sie erheben – vorausgesetzt, sie sagt mir die Wahrheit.«
»Natürlich sagt sie Ihnen die Wahrheit. Wieso sollte sie nicht? Keine Angst, Schatz, ich warte draußen.«
Als ihre Mutter und ihr Bruder gegangen waren, setzte sich das Mädchen auf den Rand der Behandlungsliege. »Sie hat keine Ahnung, was wirklich passiert ist. Sie glaubt, ich wäre aus heiterem Himmel von einem vollkommen Fremden überfallen worden.«
»So ist es aber nicht gewesen, richtig?«
»Das Mädchen verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte mit gesenktem Blick den Kopf.
»Sie kamen von der Arbeit nach Hause, richtig? Wo arbeiten Sie?«
»In einem Restaurant. Teilzeit. Ich bin Köchin.«
»Warten Sie«, sagte Cardinal, »im Bistro Champlain.«
»Stimmt.« Ein erstaunter Ausdruck huschte über ihr Gesicht. Sie hatte zarte, schön geformte Züge, und mit ihren dunklen Augen musste sie sich nicht sehr anstrengen, um einem verheirateten Mann den Kopf zu verdrehen.
»Also gut«, sagte Cardinal. »Wieso hat dieser Mann Sie angegriffen?«
»Wegen dem, was ich gesehen habe. In dem Haus am Trout Lake. Nicht gesehen – gehört.«
»Sie meinen das Paar, das ermordet wurde.«
»Hören Sie, ich gebe zu, dass ich in dem Haus war, okay? Ich klaue ab und zu, und das Haus schien leer zu stehen. Aber mit diesen Morden hatte ich absolut nichts zu tun. Ich kannte keinen von diesen Leuten. Ich hab mir das Haus vorgenommen, als ich plötzlich Stimmen hörte, und da hab ich mich versteckt.«
»Wo haben Sie sich versteckt?«
»Unter einem Bett.«
»Wie sind Sie hineingekommen?«
»Was?«
»Wie sind Sie hineingekommen, Samantha?«
»Durch die Hintertür. Mit einer Kreditkarte. Ich hab also diese Stimmen gehört und mich unter dem Bett versteckt. Es klang, als wollte der Mann denen das Haus verkaufen, er hat ihnen sämtliche Vorzüge aufgezählt und so. Ich dachte, die bleiben ein paar Minuten und dann gehen sie wieder, aber dann waren da die Schüsse. Ich dachte, das reicht, nichts wie weg. Also hab ich das Fenster eingeschlagen und bin rausgeklettert.«
»Wie haben Sie das Fenster eingeschlagen?«
»Mit einem Stuhl. Ich hab ihn, so fest ich konnte, dagegengeschleudert.«
»Und beim Rausklettern haben Sie sich ins Knie geschnitten.«
Sie nickte. »Ich bin rausgesprungen und losgerannt. Er kam hinter mir her. Ich hatte meinen Wagen ein Stück die Straße rauf stehen.«
»An der Zufahrt zum Kraftwerk?«
»Ja. Ich bin dorthin, und er hat tatsächlich auf mich geschossen. Er hat den Wagen ein paar Mal getroffen, und ich bin abgehauen. Keine Ahnung, ob er sich mein Kennzeichen gemerkt hat oder so. Als ich rausgesprungen bin, hab ich mein Handy verloren, und ich bin mir ziemlich sicher, dass er es gefunden hat. Ich bekomme ab und zu Anrufe.«
»Drohanrufe?«
»Er hängt auf. Er bleibt eine Weile in der Leitung, ohne was zu sagen.«
»Wissen Sie sicher, dass die von Ihrem Handy kamen?«
»Die Nummer war unterdrückt. Aber wen kümmert es schon, was für ein Handy er benutzt hat? Sie haben ihn eingesperrt, ja? Der gehört hinter Schloss und Riegel, der Mistkerl hackt Leuten den Kopf ab.«
»Der Mann, der Sie angegriffen hat, steht unter Bewachung und ist mit Handschellen an ein Krankenhausbett gefesselt – um den brauchen Sie sich im Moment keine Sorgen zu machen. Aber was anderes, Samantha: Was Sie mir erzählt haben, entspricht nur teilweise der Wahrheit. Ich weiß, dass Sie sich unter dem Bett versteckt haben und dass Sie weggerannt sind, wie Sie sagen. Und die Schäden an Ihrem Wagen stimmen mit dem überein, was wir am Tatort gefunden haben. Aber ich weiß auch wegen Randall Wishart Bescheid, Sie brauchen also nichts zu verschweigen, um ihn zu decken.«
Ihre Brauen schossen in die Höhe, und sie riss erstaunt die Augen auf. »Ich decke niemanden.«
»Samantha, ich weiß, dass Sie keine Diebin sind. Und ich weiß auch, dass Sie nicht mit einer Kreditkarte in dieses Haus eingebrochen sind. Sie sind mit Randall da rausgefahren, der
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