Eisnacht
mir glauben. Und was das angeht…« Er nickte zu dem blauen Band hin, das jetzt aufgewickelt auf der Sitzfläche des Schaukelstuhls lag,»… würde ich ihnen dasselbe erzählen wie dir - dass ich es gefunden habe und in den Ort bringen wollte, um es der Polizei zu übergeben.« Sie deutete auf seine Hände.
»Ja, die Handschellen wären nicht so einfach zu erklären, aber ich hätte ein, zwei Tage, um mir eine plausible Erklärung zu überlegen. Möglicherweise würde ich meine Hände doch noch frei bekommen, bevor jemand hier heraufkommt.«
»Ich glaube nicht.« Sie nickte zu den blutigen Handgelenken hin. »Selbst wenn… ich sterben… würde, hätten sie… dich.« Damit beendete sie die Auseinandersetzung und kehrte ihm den Rücken zu, um das Zimmer zu verlassen. »Was könnte denn schlimmstenfalls passieren?« Sie blieb stehen, drehte sich aber nicht wieder um. Er ließ nicht locker. »Was könnte denn schlimmstenfalls passieren, wenn du mich losbindest, Lilly? Selbst wenn ich Blue wäre. Dann könnte ich dich umbringen, sodass du mich nicht der Polizei ausliefern kannst. Du wirst sowieso sterben. Spätestens in ein paar Stunden. Wieso sollte es schlimmer sein, wenn ich dich umbringe?« Sie sah ihn wieder an. »Keine weiteren… Opfer…«
»Ach, ich verstehe, was du mir sagen willst. Du willst mich nicht auf die ahnungslose Öffentlichkeit loslassen, wo ich nach Herzenslust über weitere Frauen herfallen und mit ihnen das anstellen kann, was ich angeblich mit den anderen angestellt habe. Ist es das?« Sie nickte.
»Okay. Das klingt vernünftig. Und sehr altruistisch. Du stellst das Leben anderer Frauen über dein eigenes.« Er überlegte kurz und sagte dann: »Wenn ich mit deinen Medikamenten wieder da bin und genug Feuerholz für einen weiteren Tag ins Haus getragen habe, lasse ich mich wieder von dir fesseln. Und ich bleibe in Handschellen, bis wir gerettet werden.«
Sie versuchte zu lachen, doch ihr fehlte die Luft dazu. »Ich bin… nicht so… blöd… , so stark… ist der… Sauerstoff-… mangel… noch… nicht.«
»Du glaubst nicht, dass ich mein Wort halte?«
»Nein.«
»Das kannst du aber, Lilly, Ehrenwort. Du kannst mir glauben.«
»Gib mir… nur einen… Grund.« Obwohl sie fest entschlossen war, nicht zu weinen, füllten sich ihre Augen mit Tränen.
»Weine nicht«, flüsterte er rau.
Von seinem flehenden Blick angezogen wie auch von der Erinnerung an ihren Kuss, machte sie einen Schritt auf ihn zu. »Gib mir… nur einen… Grund,… warum ich… dir… glauben sollte,… Tierney.«
Er wollte ihr gerade antworten, als ihr Handy läutete.
Eine Sekunde oder zwei begriff sie nicht, was das für ein Geräusch war und woher es kam, sondern starrte Tierney fassungslos an, dem das unerwartete Läuten genauso die Sprache verschlagen hatte.
Als sie erkannte, dass das Dudeln aus ihrem Handy kam, zerrte sie es hektisch aus der Jackentasche und klappte es auf. »Dutch? Dutch!« Sie krächzte nur noch. Aber das war egal. Das Telefon war tot, das Display dunkel. Die Verbindung war schon wieder abgerissen. Ein kleiner Streich des Schicksals. Um sie zu verhöhnen.
Schluchzend sank sie auf die Knie, das stumme Handy gegen die Brust gepresst.
»Nicht weinen, Lilly.«
»Lass mich.«
»Du darfst nicht weinen. Das macht es nur schlimmer.«
Ihr Schluchzen ging in einen Hustenanfall über. Die Krämpfe ergriffen ihren ganzen Körper, zogen jeden Muskel zusammen und pressten die restliche Luft aus ihren Lungen. Während sie mühsam um Atem rang, bekam sie verschwommen mit, wie Tierney laut fluchend versuchte, sich mit doppelter Anstrengung aus den Handschellen zu befreien.
Es dauerte mehrere Minuten, bis sie ihren Husten wieder unter Kontrolle bekam, doch schließlich war er zu einem lauten Pfeifen abgeklungen.
»Lilly.«
Sie hob den Kopf und wischte die Tränen aus ihren Augen. Tierney hatte die Decke von den Beinen gestrampelt und zerrte an den Handschellen wie ein wildes Her in der Falle, als wäre er bereit, seine Hände abzureißen, nur um zu ihr zu gelangen.
»Es stimmt, ich habe dir kaum einen Grund gegeben, mir zu glauben«, sagte er. »Und umso mehr Gründe, es nicht zu tun. Aber ich glaube, du weißt, du weißt, dass du keine Angst vor mir zu haben brauchst. Verlass dich auf deinen Instinkt. Selbst wenn du mir nicht vertraust, dann vertraue wenigstens ihm.« Er sah sie sekundenlang an, ehe er leise schloss: »Bitte stirb nicht.«
Sie analysierte jeden seiner Gesichtszüge und
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