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Eisnacht

Eisnacht

Titel: Eisnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Brown
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Füße unter die Hüften geschlagen. Wie zum Schutz zog sie die Decke an die Brust. Sie wusste selbst nicht so recht, zum Schutz wovor. Vielleicht vor Tierneys Augen, die ihr überallhin zu folgen schienen, die sie zu durchdringen und mehr über sie zu wissen schienen als sie selbst.
    Er setzte sich auf die Kamineinfassung und streckte die Füße dem Feuer entgegen.
    Um das Schweigen zu überbrücken, fragte sie: »Was macht dein Kopf?«
    »Er dreht sich.«
    »Tut's noch weh?«
    »Halb.«
    »Ich werde die Wunde noch mal ansehen, wenn du dich ausgeruht hast, obwohl ich im Moment kein frisches Blut erkennen kann.«
    Er nickte, sagte aber nichts. Nach einer Weile stand sie auf, nahm ihm den leeren Kaffeebecher ab und ging in die Küche, um ihn wieder aufzufüllen. Als sie zurückkam, schüttelte er den Kopf. »Der ist für dich.«
    »Ich habe ihn für dich gemacht.«
    »Ich bestehe darauf, dass du ihn trinkst.« Sie nahm ein paar Schlucke, murmelte ein Danke und drückte ihm den Becher in die Hand. Dabei streiften ihre Fingerspitzen über seine. »Das fühlt sich gut an, Lilly. Noch mal vielen Dank.«
    »Danke, dass du Feuerholz geholt hast.«
    »Gern geschehen.«
    Sie nahm ihren Platz auf dem Sofa wieder ein. Kaum hatte sie sich niedergelassen, da eröffnete er mit einer knappen Erklärung ein neues Gespräch: »Ich weiß das von deiner Tochter.« Offenbar war ihr das Erstaunen anzusehen, denn er zuckte kurz mit den Achseln und setzte hinzu: »Ich habe hier und da was aufgeschnappt.«
    »Von wem?«
    »Den Leuten in Cleary. Man spricht über euch, vor allem, seit Dutch wieder hier wohnt und Polizeichef geworden ist. Ihr beide seid ein heißes Thema an Ritts Kaffeetheke.«
    »Bist du oft dort?«
    »Ich passe mich den hiesigen Gepflogenheiten an. Man trifft sich dort.«
    »Oh, es ist der Nabel der Stadt, ganz recht«, bestätigte sie sarkastisch. »Ich hatte damit gerechnet, dass meine Trennung von Dutch einen Wirbelsturm von Gerüchten und Spekulationen auslöst. Klatsch gedeiht am besten durch Hochzeiten, Schwangerschaften, Affären und Scheidungen.«
    »Oder Todesfälle«, sagte er leise.
    »Ja.« Sie seufzte und sah ihn an. »Was wird über Amys Tod geredet?«
    »Dass es eine Tragödie war.«
    »Also, das ist kein Gerücht. Sie war erst drei, als sie starb. Wusstest du das?« Er nickte. »Das war vor vier Jahren. Es ist mir unbegreiflich, dass ich sie inzwischen schon länger entbehre, als ich sie je hatte.«
    »Ein Gehirntumor?«
    »Auch das stimmt. Und zwar ein äußerst heimtückischer. Klammheimlich und tödlich. Ewig lang hat man nichts davon gemerkt. Keine Lähmungserscheinungen, keine teilweise Blindheit, keine Sprachstörungen. Keinerlei Warnung vor dem, was uns erwartete. Amy war allem Anschein nach ein kerngesundes kleines Mädchen. Das war das Gute daran. Gleichzeitig das Schlimme. Denn als wir endlich zu begreifen begannen, dass etwas nicht stimmte, hatte der Tumor bereits eine komplette Gehirnhälfte durchdrungen.«
    Sie zupfte an den Fransen der Decke. »Man machte uns von Anfang an klar, dass der Tumor inoperabel und unheilbar war. Die Ärzte meinten, dass sie Amys Leben auch mit einer aggressiven Chemotherapie und Bestrahlungen nur um ein paar Wochen, höchstens ein, zwei Monate verlängern könnten, aber dass sie nicht zu retten war.
    Dutch und ich entschieden, ihr diese grauenhaften Behandlungen zu ersparen. Wir nahmen sie mit nach Hause und erlebten noch sechs relativ normale Wochen mit ihr. Dann machte das verfluchte Ding einen Wachstumsschub. Die Symptome zeigten und verschlimmerten sich in rasendem Tempo, bis sie eines Morgens ihren Orangensaft nicht mehr schlucken konnte. Bis mittags hatten Organe zu funktionieren aufgehört. Das Abendessen hätte sie im Krankenhaus bekommen sollen, doch da war sie schon ins Koma gefallen. Am nächsten Morgen hat sie zu atmen aufgehört, dann schlug ihr Herz ein letztes Mal, und sie war von uns gegangen.«
    Ihr Blick huschte über ihn hinweg und kam auf den Flammen zu liegen. »Wir haben ihren Körper der Forschung überlassen. Wir hofften, dass er zu etwas gut wäre, dass er unter Umständen anderen Kindern das gleiche schreckliche Schicksal ersparen könnte. Außerdem hätte ich den Gedanken nicht ertragen, sie in einen Sarg einzusperren. Sie hatte Angst vor der Dunkelheit, musst du wissen. Ohne ihr Nachtlicht konnte sie nicht einschlafen. Es war ein kleiner leuchtender Engel mit ausgebreiteten Schwingen wie ein Schutzengel. Ich habe ihn immer noch und stecke

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