Eisnacht
Licht war schummrig. Die Luft war verqualmt und stank nach nasser Wolle und Schweiß. Auf ihrem Weg an die Bar aus Sperrholz am anderen Ende mussten sie aufpassen, damit sie nicht in die ausgespuckten Kautabakfladen am Boden traten.
Ohne weitere Vorrede sagte Dutch: »Cal Hawkins.«
Der Barkeeper nickte mit dem strähnigen, fettigen Schopf zu einer Ecke hin. Hawkins hing über einem der windschiefen Tische, den Kopf auf der Tischplatte und mit leblos herunterbaumelnden Armen. Er schnarchte.
»So liegt er schon seit 'ner Stunde da«, gab der Barkeeper als Auskunft und kratzte sich dabei nachdenklich durch das Flanellhemd in der Achsel. »Was wollt ihr von ihm?«
»Was hat er getrunken?«, fragte Dutch.
»Was, das die da mitgebracht haben.«
Er zielte mit dem Daumen auf den einzigen anderen besetzten Tisch, wo ein Trio mürrischer, bärtiger Männer unter dem ausgestopften Kopf eines Schwarzbären Karten spielte.
»Der Bär hat von denen den höchsten IQ«, flüsterte Wes Dutch zu. »Ich hoffe, du hast deine Waffe nicht nur zum Angeben. Jede Wette, ihre sind es auch nicht.«
Dutch hatte die an den Stühlen lehnenden Gewehre schon bemerkt. »Gib mir Rückendeckung.«
»Ich gegen drei?«
Dutch trat an den Tisch, an dem Hawkins seinen Rausch ausschlief. Unter seinen schlaffen Lippen hatte sich eine Speichelpfütze gebildet. Dutch zog den Fuß zurück und kickte Hawkins den Stuhl unter dem Hintern weg.
Hawkins schlug hart auf dem Boden auf. »Verfickte Scheiße!« Die Hände fest geballt, kam er wieder hoch. Aber als er Dutchs Marke aufblitzen sah, wich er zurück und blinzelte ihn verdattert an. Dann grinste er. »Hey, Dutch. Als ich noch klein war, hab ich dir immer bei den Spielen zugeschaut.«
»Ich sollte deinen mickrigen Arsch in eine Zelle sperren«, knurrte Dutch. »Aber wenn du nüchtern genug bist, um Müll zu quatschen, bist du auch nüchtern genug zum Arbeiten, und ich brauche dich.«
Hawkins wischte sich mit dem Handrücken den Speichel vom Kinn. »Wozu?«
»Was glaubst du denn?« Dutch rückte mit seinem Gesicht näher an Hawkins' heran, wich aber zurück, als ihm der Atem seines Gegenübers entgegenschlug. »Du hast einen Vertrag mit der Stadt, demzufolge du während eines Eissturms die Straßen sauber halten musst. Tja, soll ich dir was verraten, du Genie? Draußen tobt gerade einer. Und wo steckst du? Hier draußen weitab vom Schuss, noch dazu sturzbesoffen. Ich habe verdammt viel Zeit damit vertan, dich zu finden.«
Er riss einen Stofflappen, der vermutlich Hawkins' Jacke war, von einer Stuhllehne und warf sie ihm zu. Hawkins presste die Jacke an seine Brust. Dutch war erleichtert zu sehen, dass seine Reflexe noch funktionierten.
»Du gehst jetzt sofort da raus. Wir folgen dir in deine Werkstatt, in der dein beladener Laster auf dich wartet. Hast du die Schlüssel?«
Hawkins wühlte in den Taschen seiner öligen Jeans und zog einen Schlüsselbund hervor, den er Dutch entgegenstreckte. »Warum nimmst du sie nicht einfach und…«
»Das würde ich liebend gern, nur kann leider niemand deinen Streulaster bedienen, außerdem bist du der Einzige, der bei der Versicherung als Fahrer eingetragen ist. Du fährst, Hawkins. Und glaub bloß nicht, dass du mich bis zur Stadt abhängen könntest. Ich werde dir so dicht folgen, dass ich dir durch den Auspuff in die Eier beißen kann. Also, los geht's.«
»Das bringt doch nix«, protestierte Hawkins, als Dutch ihn unsanft zur Tür schubste. »Ich komm ja mit, Chief, aber das Zeug kommt so schnell runter, dass wir nur guten Sand ver-schwenden, wenn wir heute Abend zu streuen anfangen. Das wird die Stadt doppelt so viel kosten, weil ich noch mal ganz von vorn anfangen muss, wenn der Sturm erst weitergezogen ist.«
»Das lass nur meine Sorge sein. Du solltest dich lieber darum sorgen, dass ich dich nicht bewusstlos schlage, wenn du alles erledigt hast, wozu ich dich brauche.«
Lilly hatte ängstlich nach Tierney Ausschau gehalten und stieß einen Freudenschrei aus, als sie ihn aus der Dunkelheit heranstapfen sah. Er schleifte etwas hinter sich her. Als er näher am Haus war, sah sie, dass es eine Plane voller Feuerholz war.
Er ließ sie unten vor der Veranda liegen und stolperte die Stufen herauf. Sie öffnete die Tür, packte ihn am Ärmel und zerrte ihn ins Haus. Er sackte gegen den Türstock und schob sich die provisorische Kapuze aus dem Gesicht. Seine Brauen und Wimpern waren wieder mit Frost überzogen. Instinktiv wischte er die Eiskristalle
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