Eisnacht
Das mag ein zusätzlicher Anreiz sein, ein Bonus sozusagen, aber vor allem macht es ihn scharf, dass er ihr Erlöser sein kann.«
Dann kam Hoot ein Gedanke, der die ganze Hypothese zum Einsturz brachte. »Wir haben Torrie Lambert vergessen. Die Erste. Sie war eine Schönheit. Und eine Musterstudentin. Bei allen Kommilitonen beliebt. Ohne größere Komplexe oder Probleme.
Außerdem«, fuhr Hoot fort, »hat Blue sie nicht vorsätzlich ausgewählt. Er ist über sie gestolpert, als sie sich aus der Wandergruppe absonderte. Er wusste nicht, dass sie an diesem Tag allein durch den Wald wandern würde. Sie wurde entführt, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort war, nicht weil sie bedürftig gewesen wäre.«
Stirnrunzelnd schlug Begley ihre Akte auf und begann darin herumzublättern. »Was ist mit den Männern in der Wandergruppe?«
»Die waren unter Zeugen allesamt anwesend, als das Mädchen verschwand. Sie wurden ausführlich vernommen. Niemand außer Torrie hatte sich aus der Gruppe abgesondert.«
»Warum ist sie weggegangen?«
»Bei der Vernehmung meinte Mrs Lambert, Torries Mutter, dass sie am Morgen einen Streit hatten. Nichts Ernstes. Eine typische Teenagerhakelei. Ich würde darauf tippen, dass sie keinen Bock hatte, mit ihren Eltern Urlaub zu machen.«
»Genau da stehen Mrs Begley und ich auch mit unserer Fünfzehnjährigen. Wir sind nur peinlich. Sie würde am liebsten im Boden versinken, wenn wir sie in der Öffentlichkeit ansprechen.« Er brütete kurz darüber nach, bevor er fortfuhr: »Blue stolpert also über Torrie, die sich wie eine zickige Teenagerin aufführt. Er plaudert mit ihr, gibt sich einfühlsam, ergreift für sie Partei gegen ihre Mutter, sagt, er kann sich gut erinnern, wie nervtötend Eltern sein können…«
»Und schon gehört sie ihm.«
»Von jetzt auf nun«, bestimmte Begley nachdrücklich. »Doch nach einer Weile fühlt sie sich in seiner Gegenwart nicht mehr wohl und versucht, zu ihren Eltern zurückzukehren. Er fragt sie, warum sie zu ihnen zurück will, wo er doch der Freund ist, den sie braucht? Das macht ihr Angst und sie versucht sich davonzuschleichen. Er verliert die Kontrolle. Sie stirbt unter seinen Händen.
Vielleicht hatte er gar nicht vor, sie umzubringen«, fuhr Begley fort. »Vielleicht gerieten die Dinge außer Kontrolle, und er hat zu spät gemerkt, dass sie nicht mehr atmet. Aber so oder so, ob er sie nun vergewaltigt hat oder nicht, das Erlebnis macht ihn scharf.«
Er schloss die Augen, als könnte er alle Taten und Gedanken - Prozesse des Täters nachvollziehen. »Als er nicht gefasst wird, nicht mal unter Verdacht gerät, begreift er, wie leicht das alles ist. Jetzt hat er Geschmack daran gefunden. Allmachtsgefühle sind der schärfste Egotrip. Der allergrößte Rausch besteht darin, das Schicksal eines anderen Menschen in die Hand zu nehmen und über ihn zu bestimmen.
Während er sich die Zeit mit Eisklettern oder anderem Quatsch vertreibt, geht ihm auf, dass das längst nicht mehr so spannend ist wie früher. Das Adrenalin schießt ihm nicht mehr so in die Adern wie einst. Er muss an das High denken, das ihm der Mord an diesem Mädchen beschert hat, und bekommt bei dem Gedanken, es wieder zu tun, einen Steifen.
Er beschließt, nach Cleary zurückzukehren und nachzuforschen, welche Hilfe er einer anderen bedürftigen Frau angedeihen lassen kann und ob es nicht möglich ist, sich noch mal diesen speziellen Kick zu verschaffen. Er kommt hierher zurück, weil hier praktisch keine Gefahr besteht, dass er gefasst wird. Seiner Überzeugung nach sind die Bullen nur Dorfdeppen und längst nicht so schlau wie er. Es gibt hier zahllose Verstecke und über Kilometer hinweg ungestörte Wildnis, in der er die Leichen verschwinden lassen kann. Es gefallt ihm hier. Es ist der perfekte Ort für seinen neuesten Abenteuertrip.«
Gegen Ende seines imaginären Szenarios hatte Begley immer wütender geklungen. letzt riss er die Augen auf. »Warum geht es nicht weiter?« Er wischte die beschlagene Windschutzscheibe mit dem Ärmel ab und fragte: »Wieso brauchen die so lange, verfickte Kacke?«
Im Führerhaus des Streulasters neigte sich Dutchs Geduld rapide dem Ende zu. »Du kannst das besser, Cal.«
»Vielleicht könnte ich es besser, wenn du aufhören würdest, mich anzubrüllen.« Hawkins klang, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. »Du machst mich nervös. Wie soll ich den Berg raufkommen, wenn du mich mit jedem Atemzug beschimpfst? Vergiss das, was ich über
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