Eisrosensommer - Die Arena-Thriller
stundenlang geküsst und alles war wieder gut.
Bis auf die Sache mit dem Geld. Pia hatte sich fest vorgenommen, die Lateinstunden bei den Matusseks aufzugeben, aber unter den gegebenen Umständen hielt sie es für klüger, die Zähne zusammenzubeißen und durchzuhalten. Obwohl ihr das Getue von Rebeccas Mutter von Mal zu Mal mehr auf die Nerven ging.
Am Donnerstag war es wieder so weit.
Rebecca und ihre Mutter wohnten am Ende einer Stichstraße. Krieg und Nachkriegszeit hatten an dem einstmals schmucken Einfamilienhäuschen unverkennbar ihre Spuren hinterlassen. Das Resultat war ein liebloser Materialmix aus Rauputz, Glasbausteinen und Wellplastik, umgeben von einer ausgemergelten Ligusterhecke.
Therese Matussek öffnete mit dem üblichen Begeisterungsschrei – »Piiiia, wie schööön!« – die Tür.
Es roch nach Knoblauch und Räucherstäbchen.
Pia drehte es auf der Stelle den Magen um.
»Magst du noch was mitessen?«
»Nein, danke.«
»Becky ist draußen im Garten.«
Rebecca lag im Bikini in der Sonne und machte keinerlei Anstalten, sich Ciceros Anklagerede gegen Verres zu widmen.
»War das da im Park dein neuer Freund?«
Pia zuckte die Achseln. »Nicht, dass ich wüsste.«
Und jetzt halt die Klappe! Was ich außerhalb der Nachhilfestunden tue oder lasse, geht dich nichts, aber auch gar nichts an!
Demonstrativ zog sie Rebeccas Latein-Übungsheft unter einem Stapel Teenie-Zeitschriften hervor. »Komm, wir gehen Ciceros Rede Satz für Satz in Ruhe durch: Quod erat optandum maxime, iudices, et quod unum ad invidiam…«
»Woher kennst du den denn eigentlich?«
»Cicero? Kennt doch jeder!«
»Quatsch!« Rebecca kicherte. »Ich mein, diesen Jonas.«
»Rebecca, ehrlich: Deine Mutter zahlt neun Euro die Stunde, damit du was lernst und nicht, um mein Liebesleben durchzuhecheln, okay?«
»Ach? Also doch!« Rebecca klatschte in die Hände, als habe sie soeben die ultimative Quizfrage beantwortet. »Liiiiebesleben und so!« Sie zog das I genauso penetrant in die Länge wie ihre Mutter. »Und?« Sie kicherte erneut, »Wie ist er denn so?«
»Rebecca, jetzt hör bitte auf! Jonas Romeike war in diesen Fall letzten Winter verwickelt, diese Schulhof-Sache im Humboldt, okay? Wir haben uns nach der Teen-Court-Sitzung zufällig im Park getroffen. Das war alles!«
Das alles sollte ich dir wirklich nicht auf die Nase binden, aber vielleicht gibst du dann endlich Ruhe!
»Wow! Aber der sieht überhaupt nicht aus wie ’n Verbrecher.«
»Ist er auch nicht!« Pia war kurz davor, Rebecca eine runterzuhauen. »Also von vorn: Quod erat optandum maxime, iudices…«
»Und muss der jetzt in’n Knast?«
»Wer muss in den Knast?«
Wie auf’s Stichwort betrat Beckys Mutter mit einem Kaffeetablett den Garten.
»Niemand, Frau Matussek. Das ist ja gerade der Sinn von Schülergerichten. Da geht es in erster Linie um Einsicht und Täter-Opfer-Ausgleich.«
Therese Matussek verteilte Thermoskanne, Teller, Tassen, Milch und eine Platte mit Möhrenkuchen auf dem Gartentisch. »Und was heißt das?«
Pia ärgerte sich zum hundertsten Mal, dass ihre Unterrichtsstunden zum Kaffeeklatsch umfunktioniert wurden, aber ihr fiel beim besten Willen keine einigermaßen höfliche Ablehungsfloskel ein.
Therese Matussek setzte sich auf die Gartenbank, füllte ihren Kaffee mit reichlich Milchschaum auf und ließ sich für neun Euro die Stunde haarklein erzählen, was es mit dem Teen-Court-an-sich und mit Jonas Romeike im Besonderen auf sich hatte.
Cicero wird sich im Grabe herumdrehen!, dachte Pia. Obwohl: Wahrscheinlich wäre es ihm letzten Endes schnurzpiepegal, ob ein perlweiß irisierendes Wunderkind seine Texte versteht oder nicht.
Als Pia gut zwei Stunden später – immer noch ärgerlich und frustriert – das Haus verließ, hatte Becky Matussek trotz Pias eiserner Diskretion genügend Fakten gesammelt, um mit ein paar gezielten Google-Klicks bei Täter, Tat und Opfer zu landen.
Sie griff zum Telefon. »Reiterhof Peters? Ich würde mich gern zu einer kostenlosen Probestunde anmelden. Am nächsten Samstag? Perfekt!«
Der Rest der Woche stürzte Pia in ein so heftiges Wechselbad der Gefühle, dass sie den nervigen Nachmittag bei den Matusseks schnell wieder vergaß: Jeden Abend Endproben im Opernhaus, danach holte Jonas sie ab. Pia ging zwar zum Tanzen am liebsten ins Dark Flower – nicht zuletzt, weil man sich dort für die verschiedenen Events nach Herzenslust verkleiden konnte –, aber Jonas mochte die Schwarze Szene trotz
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