Eisrosensommer - Die Arena-Thriller
Nicht nervös machen! Und die Box natürlich erst ausmisten, wenn ich sie rausgeholt habe. So in ’ner guten Stunde.«
»Ich kann ihr ja in der Zwischenzeit den Kopf absägen und dir heimlich ins Bett packen. Wie in Der Pate eins.«
Lennart verzog keine Miene. »Die Säcke mit der Streu stehen dahinten, und wenn du noch Fragen hast…«
Bevor er weitersprechen konnte, klopfte jemand draußen an die Stalltür.
»Hallo?« In der Tür erschien eine zierliche Mädchengestalt. Im Gegenlicht hatte sie beinahe etwas Engelhaftes in ihrem langen weißen Baumwollkleid.
»Wo findet denn hier die Probe-Reitstunde statt?«
»In der Halle. Ich komm gleich.« Lennart stutzte. »Hast du keine Jeans oder so was mitgebracht?«
»Ich trag grundsätzlich keine Jeans.«
»Das kannst du natürlich halten, wie du willst«, Lennart hob in einer Art Abwehrbewegung beide Hände, »aber – sorry – in den Klamotten steigst du mir nicht in den Sattel.«
Rebecca drehte sich kokett einmal um sich selbst. »Wieso? Was gefällt dir denn nicht an meinem Kleid?«
Sie trug einen Mittelscheitel und hatte die Haare an der linken Schläfe mit einer Haarspange zurückgesteckt, die im hereinfallenden Sonnenlicht in allen Regenbogenfarben glitzerte. Jonas stand ein paar Schritte hinter Lennart und starrte Rebecca an wie eine Erscheinung.
»Herrgott noch mal!« Lennart machte keinen Hehl daraus, dass ihm die Show, die die Neue da abzog, auf die Nerven ging. »Wenn du mit dem Kleid im Steigbügel hängen bleibst, kann wer weiß was passieren! Außerdem kann ich so deine Bein- und Fußstellung nicht kontrollieren.«
»Ach? Wie schade.« Aus Rebeccas Mund klang das geradezu anzüglich.
Seufzend lenkte Lennart ein. »Okay, ich mach dir ’nen Vorschlag. Meine Mutter hortet jede Menge Klamotten, in die sie nicht mehr reinpasst. Bestimmt leiht sie dir eine von ihren alten Reithosen. Sind alle sauber gewaschen und mottensicher eingetütet, also keine Panik. Klingel einfach mal drüben im Wohnhaus, okay?«
Im Gehen wandte er sich noch einmal zu Jonas um: »Streu? Pi mal Daumen ’n halben bis ganzen Sack pro Box. Wenn du Fragen hast: ich bin in der Halle.« Und damit war er, vorbei an der immer noch dekorativ in der Tür lehnenden Rebecca, verschwunden.
»Wie kommst du denn hierher?«, fragte Jonas, als Lennart außer Hörweite war.
»Reiner Zufall…« Rebecca machte eine Kunstpause. »…oder auch nicht.«
In Nele Canisius’ Wohnzimmer war der Schokoladenkuchen inzwischen einem riesigen Alu-Tablett mit Sushi gewichen.
Typisch Nele: Home delivery, aber immer vom Feinsten.
Während Pia sich genüsslich eine California-Roll in den Mund schob, griff Nele zu einer der Papierservietten und tupfte sich stilvoll den Mund. »Dein Jonas ist doch heute auf diesem Reiterhof, oder?«
Pia konnte mit vollem Mund nur bestätigend nicken.
»Warum holst du ihn da nicht einfach ab und lädst ihn deinerseits mal schick zum Essen ein?«
»Erstens…« Pia spülte die California-Roll mit einem großen Schluck San Pellegrino hinunter. »Erstens weil ich für heute pickepackesatt bin und zweitens weil ich mir das nicht leisten kann.«
Sofort griff Nele zu ihrem Portemonnaie, aber Pia wehrte energisch ab. »Nee, lass man stecken, danke.«
»Kannst ihn doch auch einfach so abholen. Ist doch kindisch, dass er nicht ans Telefon geht.«
»Und wenn er sich dann kontrolliert vorkommt?«
»Wegen des Teen-Court-Urteils oder was?«
»Genau.«
»Tz…« Nele schüttelte indigniert den Kopf.
Okay, Schwesterherz, dachte Pia und angelte sich das letzte Lachs-Nigiri vom Tablett, jetzt kommt garantiert wieder eine deiner unschlagbaren Lebensweisheiten.
»Weißt du, warum so viele Beziehungen scheitern?«
Na, bitte!
Pia schüttelte kauend den Kopf.
»Weil wir Mädels uns viel zu oft fragen, wie Er wohl reagieren könnte, statt einfach zu tun, was wir für richtig halten.«
Wie sich herausstellte, hätte Pia sich ihre Skrupel sparen können. Als sie auf dem Petershof ankam, war weit und breit kein Mensch zu sehen.
In der Einfahrt parkte ein tarngrüner Geländewagen mit kreisrundem rotem Logo auf der Heckscheibe: Ein weißes V mit einem Äskulapstab darüber.
V wie Veterinärmediziner.
Aha. Der Tierarzt. Hat sich nicht mal die Zeit genommen, die Fahrertür zuzumachen. Offenbar hatte er es eilig.
Pia sah sich auf dem Hofgelände um: Ein ockerfarbenes Backsteinensemble aus dem vorletzten Jahrhundert, dreiseitig, mit Stall, Remise, Scheune und Wohnhaus; ergänzt
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