Eisrosensommer - Die Arena-Thriller
Punkt auf einem darüberhängenden Hinweisschild erklärt.
Während Pia den Anweisungen folgte, drehte die Krankenschwester irritiert Pias Mitbringsel in Händen.
»Sind Sie über Herrn Peters’ Zustand informiert?«
Pia schüttelte den Kopf. »Nein, aber in der Zeitung stand doch, er wäre außer Lebensgefahr, oder?«
»Na ja… Soweit man das absehen kann…« Die Schwester gab Pia das Buch zurück und öffnete behutsam die Tür. »Aber ich darf Ihnen ansonsten natürlich keinerlei Auskünfte geben.«
Der Schock nahm Pia regelrecht den Atem: Lennart Peters lag mit bandagiertem Kopf, umgeben von einem ganzen Arsenal von Apparaten, Schläuchen und Monitoren auf dem Rücken; bewegungslos, das Gesicht deutlich schmaler als das letzte Mal, als sie ihn gesehen hatte.
Aber vielleicht wirkt das auch nur so, weil er so blass ist.
Er wandte nicht den Kopf, als sie das Zimmer betrat.
»Hallo, Lennart«, sagte Pia befangen. »Ich hab dir was zu lesen mitgebracht.«
Keine Antwort. Einen Moment lang war Pia versucht, auf dem Absatz kehrtzumachen. Ihr Herz klopfte wie wild.
»Manche bleiben für immer gelähmt«, hat Lennarts Mutter gesagt. Was ist, wenn…
»Gehen Sie nur!«, sagte die Schwester und schob sie mit sanftem Nachdruck weiter in das Zimmer hinein. »Hören kann er Sie. Und sehen auch.«
Dann schloss sie leise die Tür und Pia war mit Lennart allein; mit Lennart und den diffusen Geräuschen der Maschinen, die sein Überleben sicherten.
»Hören kann er Sie. Und sehen auch…«
Langsam wurde Pia klar, was die Schwester gemeint hatte.
Er kann nicht sprechen. Und er schaut mich nicht an, weil er den Kopf nicht bewegen kann.
Wieder hatte sie das Gefühl, wegrennen zu müssen. Was ging sie das Ganze hier an? Noch vor ein paar Tagen hatten sie und Lennart Peters sich gestritten, und…
Nein, nicht gestritten. Im Gegenteil. Es hätte sogar ein richtig schöner Nachmittag werden können…
Wenn nicht die Sache mit Jonas gewesen wäre.
Sie gab sich einen Ruck und ging ans Fußende des Bettes. Lennarts graue Augen signalisierten deutlich Wiedererkennen. Und Freude.
»Alexander von Humboldt«, sagte Pia und hielt das Buch hoch. »Reise nach Südamerika. Kennst du das? Ich meine: Hast du das schon gelesen?«
Keine Antwort.
Erschrocken schlug sie die Hand vor den Mund. »Sorry!«
Wie kann man nur so dämlich sein und jemandem Fragen stellen, der nicht sprechen kann!
Lennarts Augenlider zuckten. Dann lenkte er den Blick auf seine linke Hand. Sie lag bewegungslos auf seinem Brustkorb. Langsam, ganz langsam hob er die Finger ein paar Zentimeter an und ließ sie wieder zurückfallen.
»Hey! Heißt das ja?« Blitzartig fiel Pia ein Joy-Fielding-Krimi ein, in dem eine Koma-Patientin mit aller Macht versucht hatte, ihre Hand zu bewegen, um mit ihrer Umwelt Kontakt aufzunehmen.
»Moment, wir müssen eine Art Code ausmachen«, sagte sie hastig. »Einmal Klopfen heißt ja, zweimal Klopfen heißt nein, okay?«
Sie schaute gebannt auf Lennarts Hand: Die Finger hoben und senkten sich einmal.
»Gut. Prima. Aber das heißt jetzt nur, der Code ist okay, stimmt’s? Das heißt nicht, dass du das Buch schon gelesen hast, oder?«
Die Finger auf der Bettdecke machten eine diffuse Bewegung.
»Oh, Shit!« Pia musste trotz des Ernstes der Situation grinsen. »Das waren zwei Fragen auf einmal! Sorry, sorry, sorry, kommt nicht wieder vor.«
Lennart schaute sie erwartungsvoll an. Seine grauen Augen wirkten dunkler als das letzte Mal.
Merkwürdig, mit einem Menschen nur über Blicke zu kommunizieren. Man kann alles und jedes hineininterpretieren…
Als das Sich-gegenseitig-in-die-Augen-Schauen fast nicht mehr auszuhalten war, nahm Pia das Buch aus dem Einwickelpapier und hielt es hoch.
»Soll ich dir vielleicht ’n bisschen was daraus vorlesen?«
Ihre Stimme klang verlegen, und sie fragte sich, was um Himmels willen der Grund dafür sein sollte. Zu ihrer Überraschung signalisierten Lennarts Finger »Nein«.
Sein Blick wanderte zur Fensterbank. Dann wieder zurück zu Pia und wieder zur Fensterbank.
»Soll ich das Fenster aufmachen?«
Zweimaliges Klopfen: »Nein.«
Wieder wanderte Lennarts Blick zur Fensterbank und zurück. Diesmal noch eindringlicher.
Pia zwang sich dazu, so geradlinig und schnörkellos wie möglich zu denken.
Kein Wer-wie-was-wann-wo-warum! Nur Ja-oder-Nein-Fragen, nichts anderes!
»Du klopfst erst, wenn ich was Richtiges sage, okay?«
Zustimmendes Klopfen.
»Gut, also: Fenster?«
Zustimmendes
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