Eisseele - Schlieper, B: Eisseele
dabei?«
»Wenn die Alt hätte rumzicken wollen, hätte ich den ins Spiel gebracht, um sie ein bisschen locker zu machen. Aber mit dir trinke ich ihn natürlich lieber.«
Carl nimmt zwei kalkige Gläser aus dem Regal, schenkt ein.
Das Zeug ist süß und warm und Zoe merkt nicht, dass Carl eigentlich kaum trinkt. Sie mag eigentlich auch keinen Sekt, aber will jetzt nicht kneifen. Artig schüttet sie das klebrige Zeug runter.
Erst auf dem Rad merkt sie, dass ihr der Sekt in den Kopf und die Beine geflossen ist. Sie ist so froh, heil zu Hause anzukommen. Als sie das Rad an die Hauswand lehnen will, fällt es mit lautem Scheppern hin. Wenige Sekunden später öffnet sich die Haustür, Sonja Kessler guckt Zoe erschrocken an. »Was ist los?«
»Das Rad ist hingefallen.«
»Warum hebst du es nicht auf?«
»Dann könnte es wieder hinfallen. Ich lass es einfach so liegen. Das will bestimmt auch pennen«, kontert Zoe.
Sie will an ihrer Mutter vorbei ins Haus gehen. Als sie auf einer Höhe sind, hält Sonja Kessler sie fest, schnuppert kurz. »Hast du getrunken?«
»Ja.«
»Was?«
»Heute Morgen Kaffee, in der Schule Tee, dann Wasser.«
»Du riechst nach Alkohol.«
»Vielleicht riechst du deinen eigenen Atem, der dir aus dem Mund in die Nase steigt.«
Sonja Kessler zuckt wie nach einem Schlag. Sie lässt Zoe los, die geht regungslos weiter nach oben.
Zehn Minuten später spürt sie eine Hand auf ihrer Schulter und schreckt herum. Sie hatte die Kopfhörer auf, hat schnellen, harten, schmerzenden Rhythmus in ihren Kopf geblasen. Stefan Kessler zieht ihr die Stöpsel raus. »Komm bitte runter.«
Sie schlendert hinter ihm her. Jetzt gibt es wieder so ein Eltern-Tochter-Gespräch. Fast wünscht sie sich, dass Franzi wieder einen epileptischen Anfall bekommt.
»Setz dich.« Stefan Kessler drückt seine Tochter auf einen Stuhl am Esstisch. Ihre Mutter sitzt schon da.
»Ich fühle mich wie bei Täglich grüßt das Murmeltier. Das kennt ihr doch, oder?«, kichert Zoe plötzlich.
Stefan Kessler reagiert nicht darauf.
»Wir möchten jetzt endlich gerne wissen, was mit dir los ist. Was in dir vorgeht. Wir kennen dich nicht mehr. Du fängst nicht nur an zu lügen, zerstreitest dich mit deinen Freundinnen, sondern kommst jetzt plötzlich auch noch angetrunken nach Hause. Was soll das? Willst du uns provozieren? Dann kann ich dich nur beglückwünschen. Das hast du geschafft.«
Zoe lehnt sich zurück. »Eigentlich müsstet ihr doch total happy sein. Jetzt dürft ihr endlich offiziell und amtlich wütend auf mich sein. Muss sich doch geil anfühlen.«
Ihre Stimme könnte altes Brot schneiden. »Warum sollen wir gerne wütend auf dich sein?«
»Als ihr wirklich wütend wart, habt ihr euch ja nicht getraut. Da wart ihr so scheißenett zu mir. Kein Vorwurf. Nichts. Ihr habt einfach so getan, als hätte ich nichts gemacht. Das war das Schlimmste.«
»Was hast du denn gemacht?« Sonja Kessler mischt sich ein, guckt Zoe überrascht an.
»Jetzt tu doch nicht so. Das kotzt mich an. Seit Jahren kotzt mich das an. Wenn ihr mich damals in ein Heim gegeben hättet, ich hätte es verstanden. Es wäre okay für mich gewesen. Manchmal habe ich mir gewünscht, dass es so gekommen wäre. Damit ich sie nicht mehr sehen muss.«
»Sie?«
»Franzi, verdammte Scheiße. Ihr müsst mich doch gehasst haben. Wahrscheinlich tut ihr es immer noch. Aber in eurer Vorstadt-Mittelschicht-Idylle kommt so was ja nicht vor. Da hasst man sein Kind nicht. Auch nicht, wenn es die eigene Schwester zum Krüppel gemacht hat.«
Sonja und Stefan gucken sich an. Erschrocken, überrascht, ratlos.
Zoe lacht höhnisch.
»Jetzt überlegt ihr, was? Wie könnt ihr mir jetzt erklären, dass ihr mich ja trotzdem liebt? Dass ihr mir verzeiht. Vergesst es. Ich verstehe, wenn ihr es nicht tut. Es ist in Ordnung.«
»Wieso hast du Franziska zum Krüppel gemacht?« Stefan versucht ruhig und sachlich zu klingen.
»Für wie blöd haltet ihr mich eigentlich? Wenn ich mich damals nicht im Bad eingeschlossen hätte, wärt ihr rechtzeitig im Krankenhaus gewesen, dann hätte es keine Unterversorgung gegeben und nebenan würde nicht ein Wesen liegen, das Zeit seines Lebens in Windeln kacken wird. Ich weiß, dass es so ist. Und ich weiß auch, dass ihr es wisst. Also lasst den Scheiß.«
Der Raum wird fast aufgefressen von der folgenden Stille.
Auch Zoe ist ganz ruhig. Endlich ist es raus. Sie fühlt sich fast ein bisschen erleichtert. Als hätte sie was Schlechtes gegessen
Weitere Kostenlose Bücher