Eistochter
sicher mehr Informationen für dich. Geh.«
Entsetzen breitet sich in meinem Körper aus und stößt mit Mr. Treverns Worten zusammen: ein bedauerlicher Zwischenfall.
Beck. Wo ist er? Mein Armband geht seinen Stundenplan durch, bis es ihn findet. Mathe. Er ist drüben im Hauptgebäude – weit weg von hier.
Der Magen dreht sich mir um. Das stimmt nicht – er hatte schon letzte Stunde Mathe, da bin ich mir sicher. Funktioniert sein Armband etwa nicht richtig? Er sollte jetzt im Englischkurs sein. Ich bin mir vollkommen sicher, dass er immer von dort kommt, wenn wir uns zum Mittagessen treffen, das jetzt gleich stattfinden würde.
Mr. Trevern läutet erneut seine Glocke und ruft über das Getöse hinweg: »Bitte findet euch mit euren Mitbewohnern zusammen, die auch an diesem Kurs teilnehmen, und geht als Gruppe nach Hause. Es gibt keinen Anlass zur Sorge, aber wir bitten euch, direkt nach Hause zurückzukehren. Wartet nicht auf den Rest eurer Mitbewohner.«
Ich starre meinen Lieblingslehrer unverwandt an, fordere ihn heraus, mir in die Augen zu sehen. Aber das tut er nicht. Mr. Trevern wendet sich ab. Er verschweigt mir etwas.
Mein Magen macht einen Satz. Ich bekomme keine Luft, und alles dreht sich vor meinen Augen. Der Raum beginnt zu beben und nimmt einen leuchtenden Rotton an.
Jemand schreit. Ein schriller, herzzerreißender Schrei, der wieder und wieder ertönt. Ich presse mir die Hände auf die Ohren und versuche, das Geräusch auszusperren, aber es geht nicht weg. Stattdessen wird es noch lauter. Erstaunt lasse ich die Hände sinken.
Es kommt von mir. Aus meinem Innern.
Aber niemand sonst scheint es zu hören. Die anderen Schüler gehen an mir vorbei, unterhalten sich miteinander und sind in ihren eigenen kleinen Welten aus Sorge oder Aufregung gefangen.
Das Geräusch verstummt, und mein Verstand klärt sich. Aber mein Herz fühlt sich an, als würde etwas fehlen. Als wäre ein Stück davon gestohlen worden.
Ich renne zur Garderobe, hektisch darauf bedacht, nach Hause zu kommen. Die anderen Schüler laufen herum und tauschen Spekulationen aus. Sie hindern mich daran, mich schnell zu bewegen. Ich drängle mich unter Ellbogeneinsatz zu meinen Habseligkeiten und kümmere mich nicht darum, ob ich vielleicht jemandem wehtue.
Als ich mir die Jacke überstreife, packt Kyra mich am Arm. Sie lächelt.
»Kyra, was ist los? Was weißt du?«
Sie wiegt den Kopf hin und her und hält sich einen Finger an die Lippen. »Pst! Nicht hier«, flüstert sie. »Es geht los …«
Sie bricht mit weit aufgerissenen Augen ab. Mr. Trevern steht neben mir.
»Kyra, kommst du bitte mit? Der Schulleiter möchte dich gern sprechen.«
Kyra? Einen kurzen Moment lang nehme ich an, dass es nur darum geht, dass Kyra und Maz sich unschicklich verhalten haben. Aber das ist lächerlich. Niemand hat die Schüler nach Hause geschickt, als Ryker und Lina erwischt wurden. Aber dann bemerke ich Mr. Treverns Augen. Sie sind voller Mitgefühl, als er versucht, meinem fragenden Blick auszuweichen.
Sein Gesicht bestätigt meinen Verdacht, und die Leere in meinem Herzen wächst. Beck ist irgendetwas zugestoßen.
Wie gelähmt stehe ich da und starre meine Freundin und meinen Lehrer an.
Mr. Trevern legt Kyra eine Hand auf den Rücken und umfasst mit der anderen ihr Armband. Was auch immer sie getan hat, sie steckt in Schwierigkeiten.
Ich betätige den Knopf, der mir Becks Aufenthaltsort zeigt. Diesmal ist er im Schulleiterbüro. Mir sackt der Magen in die Kniekehlen.
Was haben sie getan? Was zur Hölle haben sie getan?
Mr. Trevern führt Kyra durch die Tür. Sie wirkt völlig unbeeindruckt. Eine scharfe Windböe fegt durch die Öffnung, und ich ziehe meine Jacke enger um mich. Der kalte Luftzug lässt mich Mr. Trevern wieder klarer sehen.
Bevor die Tür zufällt, erhasche ich einen letzten Blick auf Kyra. Sie langt nach oben und reißt sich das Haargummi aus dem Pferdeschwanz, um sich die Locken ums Gesicht fallen zu lassen. Vielleicht liegt es an der Verwirrung im Raum, aber ich könnte schwören, dass sie fast freudig erregt wirkt.
Meine Beine zittern, und ich zwinge die erstickende Luft, in meine zugeschnürte Lunge und wieder hinaus zu strömen. Ich muss nach draußen. Ich brauche frische Luft.
Ich dränge mich durch die Tür, und mein Verstand rast, um mit meinen Handlungen mithalten zu können. Es wäre nicht das erste Mal, dass Beck oder Kyra ein bisschen Ärger bekommt, aber sie liegen sich doch ununterbrochen in den Haaren:
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