Eistochter
richten sich suchend auf ein Gesicht nach dem anderen.
»Wo ist Beck?«, frage ich.
Bethina stößt ein seltsames Würgen hervor, verzieht das tränenüberströmte Gesicht und macht eine kleine Kopfbewegung zur Seite. Alles dreht sich. Ich weiß es schon, bevor sie es ausspricht.
»Beck kommt nicht zurück.«
Mehr höre ich nicht, denn die Welt wird schwarz.
8
Schwimmen. Das warme Wasser umfängt mich und lockt mich immer weiter hinaus, aber meine Beine zittern, und ich kann nicht weiter. Beck steht auf dem Floß knapp zwanzig Meter vom Ufer entfernt. Wasser tropft ihm aus den Haaren und läuft seinen Oberkörper hinab. Wenn ich noch nie bemerkt hätte, wie schön er ist, würde ich es jetzt tun.
»Komm schon, Lark!«, ruft er mir zu. »Mach dir keine Sorgen. Ich lasse nicht zu, dass dir etwas zustößt.«
Er springt von der Plattform, macht einen perfekten Hechtsprung ins ruhige Wasser. Aber jetzt, da ich ihn nicht mehr sehen kann, habe ich zu viel Angst, mich zu rühren. Trotz des wolkenlosen, sonnigen Himmels bilden sich Schaumkronen auf dem Wasser.
Beck kommt an die Oberfläche, kämpft gegen die Wellen. »Lark, hilf mir!«
Aber das kann ich nicht. Ich habe zu große Angst.
»Sie wird bald wieder aufwachen, Bethina.« Eine Männerstimme. Vielleicht Dr. Hanson? »Sie müssen sich keine Sorgen machen. Lark wird sich schon wieder erholen.«
»Was soll ich ihr nun erzählen? Sie wird nie darüber hinwegkommen.« Bethinas Stimme ist belegt. Sie hat geweint.
»Machen Sie sich Sorgen, dass sie nicht darüber hinwegkommen wird oder dass sie etwas Vorschnelles tun könnte?«
»Beides«, sagt Bethina. »Sie kennen Lark nicht so gut wie ich.«
Ich versuche, meine trockenen Lippen zu bewegen. Meine Augenlider sind schwer. Habe ich etwa auch geweint?
Nein. Ich war mit Beck schwimmen, und dann …
Die Bilder verschwimmen vor meinem inneren Auge – wir waren schwimmen. Das Wasser war so warm. Bethina im Sessel. Beck zappelnd im Wasser.
Ich setze mich auf und erschrecke Dr. Hanson und Bethina. Ich zwinge meine staubtrockene Kehle, ein paar Wörter auszuspeien: »Wo ist er? Wo ist Beck?«
Meine Stimme ist heiser. Vielleicht waren wir wirklich schwimmen, und ich habe zu viel Wasser geschluckt?
Dr. Hanson streckt vorsichtig die Hand nach mir aus. »Pst … entspann dich einfach, leg dich wieder hin.«
Ich kann nicht stillhalten. Ein unbehagliches Kribbeln füllt jeden Zoll meines Körpers aus. Ich muss aufstehen und mich bewegen.
Etwas stimmt nicht, aber ich kann mich nicht erinnern, was. Mein Gedächtnis ist voller Leerstellen, und je mehr ich in ihnen herumzustochern versuche, desto größer werden die Löcher. Aber Dr. Hanson ist hier, und er kommt nur in den schlimmsten Fällen.
Wellen der Übelkeit durchlaufen meinen Körper, und ich krümme mich. Die Zeiger der Standuhr ticken. Sekunden schmelzen dahin.
Nichts ergibt einen Sinn. Bethina hat gesagt, Beck wäre nicht mehr da, aber das ist verrückt. Wohin ist er gegangen? Und warum hätte er ohne mich gehen sollen?
Fünfzehn Sekunden. Jedes Ticken trägt dazu bei, meinen Verstand aus seiner Benommenheit zurückzuholen. Starke Hände halten mich von hinten fest und pressen mir die Arme an die Seiten.
Warum? Was habe ich getan? Das Kribbeln wird stärker.
Ich muss hier weg. Ich wehre mich und schlage um mich, bis ich Bethinas Gesicht sehe. Sie berührt mich an der Stirn, und mein Drang zu flüchten verschwindet. Meine Muskeln spannen sich an und entspannen sich dann wieder, während sich eine tröstliche Wärme durch jeden Zentimeter meines Körpers ausbreitet.
In meinem friedvollen Zustand erinnere ich mich. Beck war in irgendeinen Zwischenfall verwickelt. Er hat etwas getan. Etwas so Schreckliches, dass er nicht mehr da ist.
Die Stille birst.
»Wo ist er?«, schreie ich.
»Er ist nicht mehr da«, antwortet Bethina.
Das Kribbeln weicht einer Energieaufwallung. Sie baut sich auf und drängt aus meinem Innersten an die Oberfläche.
»Aber wo ist er? Wohin ist er gegangen?«
»Der Staat hat ihn abgeholt«, sagt Dr. Hanson.
»Aber warum?«, rufe ich, während ich von Bethina zu Dr. Hanson und wieder zurück sehe. Ein lautes Klirren aus dem anderen Zimmer, gefolgt von einem donnernden Krachen. Das Haus erbebt, und Schreie ertönen auf dem Flur. »Wegen Annalise? Sie irrt sich. Sie weiß nicht, wovon sie spricht.«
»Lark, meine Süße, entspann dich einfach, sonst versetzt du noch alle in Angst und Schrecken. Du musst dich beruhigen.« Bethina
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