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Eistochter

Eistochter

Titel: Eistochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dawn Rae Miller
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Mein Blick bleibt an dem hängen, der einer Libelle ähnelt. Beck sagt, dass er ihn an Summer Hill erinnert, das Landhaus seiner Familie.
    Seine Finger verdrehen eine meiner Haarsträhnen. Als wir noch klein waren, hat Kyra uns immer damit gehänselt, dass Beck mich wie ein Schnuffeltuch behandeln würde: Ständig hat er mit meinem Haar gespielt oder an meinem Arm gehangen. Aber jetzt bin ich diejenige, die ihn braucht.
    »Du musst dir keine Sorgen machen. Deine Mutter hat sicher Leibwächter für dich. Dir wird nichts geschehen.«
    Er hat recht. Unsere Gesellschaft wird uns beschützen. Was uns heute zugestoßen ist, war einfach Pech. Die Empfindsamen können uns nichts anhaben.
    Ich kann nicht mehr reden. Ich bin erschöpft. Der endlose Stress des Tages hat mich in Verbindung mit meinen Kopfschmerzen ausgelaugt.
    Ich setze mich auf und schwinge die Beine über die Bettkante.
    »Du könntest eine Dusche vertragen«, sage ich, als ich den moschusartigen Duft von Becks Schweiß einatme. So schlecht riecht er eigentlich gar nicht. Um ehrlich zu sein, gefällt mir das sogar.
    Beck schenkt mir ein verschlagenes Lächeln und fährt sich durch die Haare. »Hättest du Lust mitzukommen? Ich lasse mich auch von dir einseifen, wenn du nett bist.«
    »Nein.« Ich schlage die Hände vors Gesicht. Warum zieht er mich nur so auf?
    »Ich mache doch nur Witze, Lark.« Er steigt an mir vorbei aus dem Bett und hebt seine Waschsachen auf, die neben seiner Kommode liegen. »Ich bin in ein paar Minuten wieder da.«
    Ich bringe keine zusammenhängende Antwort zustande, bevor er durch die Tür huscht.
    Sobald ich mir sicher bin, dass er weg ist, begrabe ich das Gesicht in seinem Kissen. Verdammt, wenn es doch schon Oktober wäre! Ich glaube nicht, dass ich noch viel mehr davon ertragen kann.

7
    Ryker steht im Eingang, links neben sich den Repräsentanten des Staates, eine Tasche mit seinen Habseligkeiten über der Schulter. Er, Beck und Maz fassen sich zum Abschied an den Armen. Zu meiner Überraschung wirkt Ryker nicht bekümmert. Nach den Umarmungen boxen Maz und er sich gegenseitig, und Maz springt ihm auf den Rücken. Beck hüpft obenauf, und die drei Jungen purzeln lachend übereinander zu Boden.
    Aber in ein anderes Haus zu ziehen heißt beinahe so viel, wie in eine andere Gesellschaft zu ziehen – wir werden Ryker künftig nur noch flüchtig sehen, wenn überhaupt. Manchmal verstehe ich Jungen nicht.
    Wenigstens hat der Staat bis nach dem Frühstück mit seiner Versetzung gewartet und ihn nicht gleich gestern Abend abgeholt. Das ist auch schon vorgekommen.
    Ich spitze die Ohren, um zu belauschen, was der Staatsmann zu Bethina sagt, aber Linas hysterisches Schluchzen übertönt alles.
    »Deshalb musst du damit aufhören, Kyra«, flüstere ich. »Sonst könntest du das sein.«
    Mädchen drängen sich um Lina, tätscheln ihr den Rücken und versuchen, sie zu trösten. Aber Kyra und ich stehen in einiger Entfernung von ihnen auf den Stufen. Sie nimmt meine Hand. »Lina ist nichts Besonderes, Lark. Sie ist dem Staat gleichgültig. Aus ihr wird doch nur irgendeine niederrangige Staatsfrau.«
    »Und wir?«, frage ich, obwohl ich die Antwort kenne. Ich bin etwas Besonderes. Alle wissen das. Aber Kyra? Sie ist die Tochter von Staatsleuten im oberen Mittelbau. Ihr Bruder ist tot. Und sie ist nicht besonders wohlhabend.
    »Vertrau mir.« Sie drückt mir die Hand. »Sie werden es nicht wagen, uns anzurühren.«
    Ich folge einem lärmenden Schülerpulk aus dem Hauptgebäude der Schule und über die ausgedehnte Freifläche des Presidio-Campus. Mittlerweile patrouillieren Wachen mit Elektroschockgeräten auf dem Gelände. Mehrere sind sogar auf den Fluren des Hauptgebäudes auf Streife und mischen sich unter die Schüler, eine Vorsichtsmaßnahme, die in Kraft bleiben wird, bis die Schule ermittelt hat, warum die Barrikade versagt hat.
    Ihre Anwesenheit, die mich ständig an das erinnert, was geschehen ist, macht mich nervös.
    In der Ferne überziehen endlose Gewächshausreihen die Hügel wie ein kleines Dorf. Im Sommer herrscht dort reges Treiben, aber jetzt, im Winter, eilen nur Schüler umher, die gezwungenermaßen nach draußen müssen.
    Meine Klassenkameraden, die sich von mir entfernen, sind aus meiner Perspektive nicht viel größer als Ameisen. Ich entdecke Kyra, die vor einer Gruppe von Mädchen hergeht, halte mir Daumen und Zeigefinger vors Auge und tue so, als würde ich sie zerquetschen. Ein Lachen purzelt aus mir hervor. Nicht dass

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