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Eistochter

Eistochter

Titel: Eistochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dawn Rae Miller
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Eis sicher zwei Stunden oder mehr. Aber wenn ich den öffentlichen Nahverkehr benutze, riskiere ich es, jemandem über den Weg zu laufen, der mich kennt – etwa einem meiner Lehrer.
    Da der Wind sich gelegt hat und es nicht mehr schneit, beschließe ich, zu Fuß zu gehen, solange ich den Eindruck habe, gut voranzukommen. Der letzte Zug fährt um 17:45 Uhr. Ich habe Zeit, aber ich darf sie nicht verplempern.
    Ich bin hier schon gelegentlich entlanggekommen, wenn ich mit Bethina Besorgungen gemacht habe. Der direkteste Weg, den wir allerdings meist nicht genommen haben, führt, glaube ich, durch ein Wohngebiet. Bethina hasst es, mit Einkaufstüten beladen Hügel hinaufzusteigen, und so machen wir oft einen Umweg durch etwas weniger anspruchsvolles Gelände.
    Aber obwohl es so eisig ist, ist der Weg über den Hügel höchstwahrscheinlich die kürzeste Route, die mir eine gute Dreiviertelstunde sparen wird.
    Die gefrorene Landschaft birgt nicht viele Geräusche, nur das leise, rhythmische Knirschen meiner Schritte. Es sind jetzt weder Vögel am Himmel noch Menschen in der Umgebung zu sehen. Die Last des Alleinseins drückt mich wie eine ungewollte Bürde nieder.
    Sosehr ich auch die Stille und die Gelegenheit, ohne Ablenkung nachzudenken, zu schätzen weiß, brauche ich doch ein Geräusch, sonst fange ich gleich wieder an zu weinen. Und ich kann es mir jetzt absolut nicht leisten zu weinen.
    Ich greife nach meinem Armband, um etwas Musik anzustellen, aber meine Finger streifen nur die kalte Haut meines nackten Handgelenks. Phantastisch – ich habe es zu Hause im Schnee liegen lassen.
    Vielleicht heißt das, dass das Tor Bethina nicht melden kann, dass ich es durchquert habe? Aber ist der Staat in der Lage, meine Bewegungen auch ohne mein Armband zu verfolgen?
    Ich stapfe gedankenverloren weiter. Alles hängt davon ab, dass Bethina glaubt, dass ich mich in meinem Zimmer verbarrikadiert habe und von meiner Trauer zu überwältigt bin, um herauszukommen. Wenn sie es glaubt, habe ich gute drei Stunden Vorsprung, bevor irgendjemand nach mir zu suchen beginnt.
    Das Ungewollte dringt in meine Gedanken ein: Beck ist ein Empfindsamer. Bethina hat gesagt, dass es Beweise dafür gibt und dass sie es glaubt. Ich … ich bin mir nicht sicher, was ich glauben soll. Er hat sich so seltsam verhalten. Aber wie kann er denn nur empfindsam sein? Es ist genetisch bedingt – der Staat testet uns darauf. Und er ist ein Channing, ein Nachkomme der Gründer.
    Zweifel mischen sich in meine Entschlossenheit. Vielleicht sollte ich das hier nicht tun? Wenn Beck wirklich empfindsam ist, dann bin ich ohne ihn tatsächlich besser dran, das könnte mir jedes Kleinkind bestätigen. Denn wer weiß schon, wozu er in der Lage ist?
    Ich halte meine Tränen zurück. »Hör auf damit, Lark. Hör einfach auf.«
    Ich weiß, dass Beck kein schlechter Kerl ist, und er ist ganz gewiss nicht böse. Ich weiß, dass er nie jemandem Schaden zugefügt hat. Er besteht nur aus guter Laune und Optimismus. Er hat sich den Empfindsamen in den Weg gestellt.
    Es muss ein Irrtum sein.
    Aber der Staat irrt nie, das hat man mir immer wieder gesagt. Und dennoch hat er jetzt entweder fünf Empfindsame durchs System schlüpfen lassen oder fünf unschuldige Menschen angeklagt. Denn Beck und Kyra können unter keinen Umständen empfindsam sein.
    Meine Entschlossenheit wächst. Ich werde ihn finden. Ihn im Stich zu lassen, allein, verstoßen, ohne jeden Menschen, kommt nicht infrage. Beck braucht mich. Ich muss ihm helfen.
    Ich komme an eine große, menschenleere Kreuzung und warte auf die Ampel. Wenn ich von den Überwachungskameras bei irgendeiner Ordnungswidrigkeit ertappt werde, ist der Sicherheitsdienst binnen Minuten hier. Ich reibe mir nervös die Hände und bete, dass es für jeden Beobachter nur so aussieht, als ob mir kalt wäre – das Letzte, was ich brauchen kann, ist, dass der Staatliche Sicherheitsdienst nach mir fahndet.
    Die Ampel blinkt dreimal grün, und ich biege nach rechts ab, bergauf, zum Bahnhof.
    Erst als mir die Zähne klappern, wird mir klar, dass mir wirklich kalt ist. Ich ziehe den Reißverschluss meiner Winterjacke bis über den Schal hoch, so dass nur noch meine Augen daraus hervorsehen, und schiebe mir die Mütze noch tiefer ins Gesicht.
    Ich renne los, nicht um Zeit zu sparen, sondern um warm zu bleiben.
    Das Laufen hat mir immer geholfen, den Kopf freizubekommen und mich zu konzentrieren. Heute bildet da keine Ausnahme. Die Ereignisse der letzten

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