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Eistochter

Eistochter

Titel: Eistochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dawn Rae Miller
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sich zusammen. Nur ruhig, Lark. Er kann dich durch den Schal nicht sehen. »Bist du nicht ein bisschen jung, um allein unterwegs zu sein?«
    Ich sehe ihn durch die Wimpern an. Er hat die Lippen zusammengepresst, seine Knopfaugen wirkten misstrauisch. Vielleicht hat er etwas gehört.
    Meine Muskeln verkrampfen sich, und Schweißperlen treten mir in den Nacken. Ich hebe den Kopf und starre ihn auf hoffentlich gebieterische Art an. Vielleicht ist die beste Vorgehensweise die, so zu tun, als würde ich hierher gehören.
    »Überhaupt nicht.« Mein Tonfall ist abgehackt und forsch wie der einer Staatsfrau. Zu spät wird mir bewusst, dass mein Jackenärmel meinen Arm, der zwar einen Handschuh, aber kein Armband trägt, nicht verdeckt. Ich reiße an dem verdammten vorschriftsmäßigen Dreiviertelärmel, bevor ich aufgebe und den Arm in die Jacke hochziehe. Wunderbar. Das war aber auch gar nicht auffällig! »Ich bin in offizieller Mission unterwegs. Ein Folgeauftrag, wenn Sie so wollen.«
    Ich muss verrückt sein. Ich bin nicht nur abgehauen, sondern gebe mich jetzt auch noch als Staatsfrau aus – das ist ein Kapitalverbrechen. Ich reite mich immer tiefer in den Schlamassel hinein.
    »Also nur eine einfache Fahrkarte?«
    »Ja bitte.«
    Er tippt etwas in sein System. »543.«
    Ich greife in meine Tasche und schließe die Finger um das Bündel Banknoten. Ich zähle das Geld langsam ab und lege es auf den Tresen.
    Der Agent lässt ein leises Pfeifen ertönen. »Was ist das?«
    »Geld.« Fehler Nummer zwei. Kaum jemand benutzt heute noch Geldscheine. Dumm, Lark, sehr dumm.
    Er starrt es an. »Keine staatliche Geldkarte? Ich dachte, die würde an alle ausgegeben?«
    Ich halte inne und mustere betont sein orangefarbenes Armband, bevor ich ihn mit einem verächtlichen Blick bedenke. »Das geht Sie doch nun wirklich nichts an, oder?« Ich schiebe das Geld über den Tresen.
    »Wahrscheinlich nicht.« Er nimmt die Geldscheine und zählt sie. »Gibt es Probleme drüben in der Schule?«
    »Nein.« Mir versagt fast die Stimme. Er stochert nach Informationen. »Nichts dergleichen.«
    »Wirklich nicht? Ich habe gehört, dass dort heute großer Aufruhr geherrscht hat und dass es gestern eine Sicherheitslücke gab.« Der Schalterbeamte druckt meine Fahrkarte aus, reicht sie mir aber nicht. Stattdessen hält er sie unmittelbar außerhalb meiner Reichweite auf seiner Seite des Schalterkäfigs in der Hand.
    »Dann haben Sie etwas Falsches gehört. Sie schenken solch einem albernen, unglaublichen Gerücht doch bestimmt keinen Glauben?«
    Der Schalterbeamte runzelt die Stirn, wirkt aber überzeugt. »Ich denke nicht.«
    Ich schiebe die Hand unter dem Gitter hindurch und schnappe mir meine Fahrkarte. »Danke.« Ich wende mich zum Gehen.
    »Pass auf dich auf, Lark.«
    Ich erstarre. Das Blut rauscht mir in den Ohren. Verdammt.
    Ich schaue mich nach dem Schalterbeamten um und will meine Identität verleugnen.
    Er zwinkert. »Ich verrate dem Stellvertretenden Staatsoberhaupt nichts. Versprochen.«
    Genau in dem Augenblick fegt ein Windstoß über den Bahnhof und verstreut seine Papiere. Während er versucht zu verhindern, dass weitere Zettel wegfliegen, sprinte ich über den Bahnsteig.

10
    Ich bin das erste Mal mit dem Zug gefahren, als ich sieben war. Meine Mutter hatte Beck und mich zu einer Bindungsfeier auf den Landsitz meiner Familie bestellt.
    Beck war ganz verliebt in die blitzschnellen Züge. Er stellte dem erschöpften Schaffner haufenweise Fragen und folgte ihm auf Schritt und Tritt. Beck war besessen davon, wie die umweltfreundlichen Züge mit Magnetkraft angetrieben wurden und über den Schienen schwebten.
    Ich dagegen erinnere mich noch besser an eine andere Einzelheit dieser Reise: daran, wie der Schaffner zwischen zwei Waggons hing.
    Beck hatte, gefolgt von mir, den Schaffner aufgespürt und ihm unzählige Fragen über die Auswirkungen von Reibung auf den Zug gestellt. Der Schaffner blaffte ihn an und sagte uns, dass wir verschwinden sollten. Beck zog sich schmollend in unser Abteil zurück.
    Eine Stunde später, als Bethina mit uns zum Aussichtswagen unterwegs war, entdeckten wir den verängstigten Schaffner. Er saß zwischen zwei Waggons fest und balancierte auf einem dünnen Sims aus schwankendem Metall. Seine Hände waren wund und blutig.
    Bethina schickte Beck und mich in unser Abteil zurück und lief selbst los, um Hilfe zu holen.
    Danach fuhren wir drei Jahre lang nicht mehr mit dem Zug.
    Der schmale Gang ist leer. Ich folge

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