Eistochter
Besorgnis. »He, stimmt etwas nicht mit dir?«
»Abgesehen davon, dass du glaubst, dass ich den Verstand verloren habe?«, blaffe ich.
»Nein. Du zitterst am ganzen Körper. Geht es dir gut?« Er klingt aufrichtig besorgt. Sogar verängstigt.
Meine Hände zittern ziemlich stark. Das habe ich vorher gar nicht bemerkt. »Es geht mir gut. Ich bin wahrscheinlich nur müde. Oder es sind die Nerven.« Seltsam, abgesehen davon, dass ich mich aufrege, fühle ich mich gut, nicht so, als ob ich krank wäre oder sonst irgendetwas nicht stimmt.
»In Ordnung. Aber wirklich, Lark, wenn du dich hinlegen musst, lass es mich wissen. Kyra würde es mir nie verzeihen, wenn ich zulassen würde, dass dir etwas passiert.«
Auf der anderen Seite des Raums explodieren mehrere Glühbirnen zugleich, so dass ein Regen von Glassplittern auf die Gäste niedergeht. Der Waggon ist schlagartig in Dunkelheit gehüllt, und schrille Schreie erfüllen die Luft. Ein Ruck schleudert mich rückwärts gegen die Wand.
»Maz?«, rufe ich über das überwältigende Durcheinander hinweg. »Maz? Wo bist du?« Ich krieche auf allen vieren über den Boden und ziehe mich am Tisch hoch. Notlämpchen, die der Barkeeper an die Passagiere verteilt, flammen an der Bar auf.
Kalte Finger umschlingen meinen Knöchel. Maz liegt zusammengerollt zu meinen Füßen. Im schwachen Licht sehe ich eine große, blutende Wunde, die quer über seine Stirn verläuft. »Geht es dir gut?«, frage ich unsinnigerweise.
Er hustet, fährt sich mit der Hand über die Stirn und verschmiert das Blut noch weiter in seinem Gesicht. »Kannst du mich in dein Abteil bringen?«
»In meins? Ich bringe dich in deins und helfe dir, dich frischzumachen.« Ich knie mich hin und lege mir seinen Arm um die Schultern. »Eins. Zwei. Drei.« Ich hieve ihn auf die Beine. »Welche Richtung?«
Trotz seiner Wunde grinst er. »Ich habe kein Abteil. Ich habe mich in den Zug geschlichen und gehofft, dass du dich meiner erbarmen würdest.«
Na toll. Ich bin nicht nur unterwegs, um meinen empfindsamen, von Geburt an vorherbestimmten Partner zu finden, sondern ich bin auch noch von zu Hause weggelaufen, habe gelogen, mich für eine Staatsfrau ausgegeben und wer weiß was getan. Und nun habe ich auch noch einen geständigen Empfindsamenunterstützer als schwarzfahrenden Reisebegleiter.
Falls ich jetzt erwischt werde, habe ich wahrscheinlich Glück, wenn ich nur im Knast lande.
12
Da Maz keine Fahrkarte hat und wie verrückt blutet, habe ich keine Wahl, als ihn mit in mein Abteil zu nehmen. Seit er verletzt ist, bin ich nicht mehr ganz so wütend auf ihn. Immer noch verärgert über seinen Vorschlag, dass ich Beck verlassen sollte, aber nicht richtig zornig. Sein Gedankengang folgt immerhin einer gewissen Logik.
Ich schließe die Tür auf und schalte die Wandlampe ein. Mein Rucksack steht auf dem Tisch.
Und ich könnte schwören, dass ich ihn auf dem Stuhl habe stehen lassen.
»Maz – du hast hier vorhin noch nicht vorbeigeschaut, oder?«
»Nein, warum?«
Ich lege mir den Finger an die Lippen und hebe den Rucksack hoch. Eine kurze Durchsicht zeigt mir, dass alles noch da ist – sogar das Geld. Vielleicht bin ich noch erschöpfter, als ich dachte, aber es kommt mir seltsam vor.
»Ich habe mich nur gefragt …« Ich deute auf den Stuhl und setze mich selbst aufs Bett. »Soll ich die Wunde für dich reinigen?«
Er fasst sich vorsichtig an die Stirn. Seine Finger finden das halb geronnene Blut, und er zieht sie weg. »Ist es schlimm?«
»Schwer zu sagen. Kopfwunden sehen immer schlimmer aus, als sie eigentlich sind. Du solltest sie zumindest säubern.«
Er hebt die Schultern, aber an der Art, wie er zusammengezuckt ist, als er seinen Kopf berührt hat, weiß ich, dass es wehtut. Dummer männlicher Stolz!
»Das Bad ist links am Gang. Glaubst du, dass du es allein schaffst, oder brauchst du Hilfe?«
Er sieht mich naserümpfend an. »Ich glaube, ich komme schon zurecht.«
Ich stehe auf und helfe ihm zur Tür, nicht ganz überzeugt, dass er unbegleitet herumlaufen sollte. »Gut. Aber wenn du in zehn Minuten nicht zurück bist, komme ich dich holen.« Ich schiebe die Tür auf.
Er widerspricht mir nicht.
Ein paar Minuten allein sind genau das, was ich brauche. Ich setze mich im Schneidersitz aufs Bett und versuche zusammenzufügen, was Maz mir erzählt hat. Von allem, was er gesagt hat, leuchtet eines am hellsten in meinem Verstand: Kyra hat Maz alles verraten. Sie hat sich ihm anvertraut. Aber mir
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