Eistochter
schiefes Lächeln und zupft mit einer Hand an seinem Schulumhang. Es ist deutlich zu sehen, dass er nur Schüler ist.
»Was tust du hier?«, flüstere ich rau und deute auf seinen Umhang. »Nimm sie ab.«
Er sieht mich verständnislos an.
»Den Umhang und das Armband, Maz. Nimm beides ab! Willst du uns verraten?«
Er steckt das Armband in die Tasche und streift das verräterische Kleidungsstück ab. »Freut mich auch, dich zu sehen.«
Ich mustere die Hautfalten an meinen Fingerknöcheln, während ich die Hand in dem Bemühen, ruhig zu bleiben, zur Faust balle und wieder öffne. »Du hast meine Frage nicht beantwortet: Warum bist du hier?«
»Ich habe dich gehen sehen und dachte, dass ich besser mitkommen sollte, wenn du Beck suchen willst. Bester Freund und so«, sagt Maz.
»Du solltest Kyra suchen. Ich fahre nach Summer Hill, wo Beck zu Hause ist.« Ich scheuche ihn mit einer Handbewegung weg. »Und wenn ich mich nicht irre, leben Kyras Eltern im Norden.«
Unbehagliches Schweigen macht sich zwischen uns breit. Maz ignoriert mich, indem er sich auf seine schon ganz abgekauten Fingernägel konzentriert. Ich danke es ihm, indem ich aus dem Fenster neben der Bar starre.
Maz hier im Zug zu haben stört mich. Nicht dass ich ihn nicht mag. Er ist eigentlich schwer in Ordnung – ein netter Kerl, und Kyra himmelt ihn an. Aber ich kann es nicht brauchen, dass er sich mir an die Fersen heftet und überall im Weg steht.
Mein Verstand wühlt sämtliche Optionen durch, ihn loszuwerden. Ihn einfach stehen zu lassen – was für mich die erste Wahl wäre –, wird in einem fahrenden Zug nicht funktionieren. Er würde mir einfach folgen. Aber vielleicht lässt er sich überreden, am nächsten Bahnhof auszusteigen? Ich könnte ihm Geld für eine neue Fahrkarte geben, und er könnte sich auf die Suche nach Kyra machen.
Wir können nicht einfach hier mitten im immer volleren Speisewagen stehen bleiben, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, und so weise ich mit einer ruckartigen Kopfbewegung auf meinen noch unbesetzten Tisch. Anscheinend will sich niemand an einem Tisch mit einem halb leergegessenen Teller niederlassen. »Setzen wir uns doch.«
Es ist nicht weit bis zum Tisch, und ich sinke wieder auf meinen Stuhl, während Maz den besser einsehbaren Platz mir gegenüber einnimmt. Ich schiebe meinen Teller beiseite, stütze das Kinn auf die Hände und starre zu ihm hoch. »Woher wusstest du, dass ich mich auf die Suche nach Beck machen würde?«
Er verdreht die Augen. »Wohin hättest du denn sonst gehen sollen?«
Da hat er recht.
»Sie täuschen sich in ihm«, behaupte ich. »Das werde ich beweisen. Du solltest versuchen, dasselbe für Kyra zu tun, wenn du sie so magst, wie du immer sagst.« Ich greife nach meinem Rucksack, um ihm Geld zu geben, weil ich weiß, dass er keines hat, aber dann wird mir klar, dass ich mein Gepäck in meinem Abteil habe stehen lassen.
»Warum rufst du nicht deine Mutter an und lässt sie alles in Ordnung bringen?«
»Was …?«, stammle ich. Ich habe meine Mutter noch nie um Hilfe gebeten; das war auch nie nötig. Ich habe mich immer an Bethina gewandt. Außerdem ist meine Mutter beschäftigt. Ich will sie nicht stören.
»Du weißt schon, deine Mutter«, sagt er betont. »Das stellvertretende Staatsoberhaupt. Die hübsche Dame, die immer in den Nachrichten zu sehen ist?«
»Ich habe nie auch nur daran gedacht«, räume ich ein.
»Weil du weißt, dass er ein Empfindsamer ist.«
»Nein! Ich weiß gar nichts. Es ist nur so, dass …« Ich breche ab. Ich will ihm meinen Verdacht nicht anvertrauen. Er ist ja vielleicht Becks bester Freund, aber ich kann es einfach nicht laut aussprechen. Und je weniger Leute über Beck Bescheid wissen, desto besser stehen meine Chancen, diesen Schlamassel wieder in Ordnung zu bringen.
»Es ist nur so, dass du es weißt«, beendet er meinen Satz. »Vielleicht hat er nie etwas gesagt, aber du weißt es oder hast zumindest das Gefühl. Nicht wahr?«
»Sprich leise«, befehle ich. »Willst du etwa, dass alle uns hören?« Ich werfe einen Blick zu den beiden Staatsmännern in unserer Nähe. Sie sind immer noch ins Gespräch vertieft und achten gar nicht auf Maz und mich.
Ich verschränke die Arme vor der Brust und vermeide es, Maz anzusehen. Vielleicht sollte ich wirklich meine Mutter anrufen. Sie könnte schließlich alles binnen wenigen Minuten aufklären. Aber wenn ich das tue und wenn das, was man über Beck sagt, zutrifft, wird sie mich zwingen, nach Hause
Weitere Kostenlose Bücher