Eistochter
erzählt?«
Beck legt mir den Finger auf die Lippen und wischt das Blut ab. »Bethina, meine Eltern, alle anderen.« Er zieht die Zweige wieder auseinander und gibt den Blick auf die Zeltstadt frei. »Sie tun seit Jahren nichts anderes, als daran zu arbeiten, einen Weg zu finden, dem Fluch ein Ende zu setzen.«
»Sie lügen«, beharre ich. »Warum sollte jemand uns verfluchen?«
»Ich weiß es nicht.« Er verzieht das Gesicht, und einen Moment lang habe ich den Eindruck, dass er erstickt. Beck keucht: »Ich wünschte, es wäre nicht wahr.«
»Aber du bist hier. Bei mir. Was ist nur los mit dir?« Es ergibt keinen Sinn, dass Beck bei mir sein will.
»Mein ganzes Leben hat bisher aus dir bestanden. Immer nur aus dir: dem Ersten, was ich morgens sehe, und dem Letzten, was ich abends sehe.« Er bricht ab. Sein schönes Gesicht ist vor innerer Zerrissenheit verzerrt. »Bis vor kurzem – genauer gesagt bis heute – hast du nie ein echtes Interesse an der Bindung oder überhaupt an mir gezeigt, abgesehen davon, dass du meine beste Freundin bist.« Er starrt jetzt an mir vorbei. »Niemand erwartet von dir, wirklich etwas für mich zu empfinden.«
Maz hatte recht. Beck denkt, dass ich ihn von mir gestoßen habe, und das nicht aus Verantwortungsgefühl, sondern weil ich nicht mit ihm zusammen sein wollte.
»Du kannst meine Gefühle doch spüren. Weißt du denn nicht, was ich empfinde?«
Die Luft um uns herum ist still – die Brise ist verschwunden.
»Es war nie völlig klar.« Beck fährt sich mit zitternden Händen durch die Haare. »Aber du empfindest etwas für mich, nicht wahr?«
Tue ich das? Mein Brustkorb zieht sich zusammen. Das Brennen pulsiert tief in meinem Herzen und versucht, sich einen Weg ins Freie zu bahnen. Ein leises Summen erfüllt meine Ohren und erschwert es mir nachzudenken. Ich will Beck sagen, dass es unerträglich war, von ihm getrennt zu sein, dass alles, woran ich denken konnte, war, zu ihm zurückzugelangen. Ich will ihm sagen, dass ich ihn brauche wie die Luft zum Atmen.
Aber mein Körper lässt mich nicht. Es ist, als ob irgendjemand oder irgendetwas in meinen freien Willen eingreifen würde. Also sage ich: »Ich habe alles aufs Spiel gesetzt, um dich zu finden – meine Karriere, meine Zukunft. Um bei dir zu sein. Ist das nicht genug?«
Das ist es nicht. Beck macht ein langes Gesicht, und er schlingt sich die Arme um den Oberkörper, als ob er versuchte, sich zusammenzureißen. »Na gut. Ich glaube, du solltest dich frischmachen gehen. Bethina hat deine Kleidung in das Zimmer oben gelegt, das wir uns immer geteilt haben.« Er schlägt die Zweige auseinander und geht auf den Rasen hinaus – weg von mir und fort vom Haus.
Mein Gehirn schreit mir zu, ihm nachzulaufen, aber ich bin wie an dieser Stelle festgeleimt und kann mich nicht rühren. Becks Gestalt wird immer kleiner, bevor er schließlich zwischen den Bäumen am gegenüberliegenden Ende der Wiese verschwindet. Erst als er außer Sicht ist, weicht die Taubheit aus meinen Gliedmaßen.
Wie kommt es, dass er jeden anderen Gedanken spüren kann, der mein Innerstes durchströmt, aber nicht den wichtigsten?
Das Sonnenlicht ist jetzt sogar noch heller und scheint grell auf den Rasen. Es muss beinahe Mittag sein.
Da ich sonst nichts zu tun habe, löse ich mich aus dem kühlen Schatten des Baums und laufe auf das altmodische Haus zu.
Köpfe wenden sich mir zu, als ich vorbeikomme, und ein paar Leute überqueren sogar den Rasen, um es zu vermeiden, mir zu nahe zu kommen. Niemand sagt Hallo oder lächelt. Ich bin allein, ein von Licht umgebenes schwarzes Loch, und niemand außer Beck und vielleicht Bethina will mich hier haben.
Mein Herz sehnt sich nach Kyra. Wenn sie bei mir wäre, würde sie die ganze Sache lustig finden, lachend behaupten, dass wir lernen müssten, unsere Jungs mittels Magie zu kontrollieren, oder versprechen, alle möglichen Schrecknisse über jeden hereinbrechen zu lassen, der uns schlecht behandelt. Sie würde wahrscheinlich das ganze Anwesen in höchste Alarmbereitschaft versetzen, und ganz gleich, was sie tun würde, langweilig wäre es bestimmt nicht.
Aber sie ist nicht hier, weil sie eine Dunkelhexe und damit Becks Feindin ist, wie auch ich es sein sollte.
Aber warum? Warum müssen wir einander hassen?
Ich fahre mit den Fingern über das Holzgeländer der Veranda und spüre den Stich von Splittern, als meine Haut hängen bleibt. Ich schließe mit bebender Lunge die Augen und lasse das Kinn auf die Brust
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