Eistochter
Ohren.
Beck spielt an seinem T-Shirt herum, bevor er antwortet: »Ich kann nicht ungeschehen machen, was passiert ist, aber glaub mir wenigstens, wenn ich sage, dass du nicht böse bist, sondern bloß Dunkel. Du kannst nichts an dem ändern, was du bist, und ich auch nicht.«
»Wenigstens bist du Licht.« Ein erschreckender Gedanke huscht mir durch den Kopf, und ich beiße die Zähne zusammen.
»Stimmt etwas nicht?«, fragt Beck besorgt.
»Was, wenn ich dir etwas tue? Oder Bethina?«
Becks Halsmuskeln versteifen sich. »Du weißt nicht, wie du dich beherrschen kannst, aber das werden wir dir beibringen. Es wird schon alles … gut.« Die Art, wie er das sagt, überzeugt mich nicht gerade davon, dass er selbst daran glaubt. »Nichts kann etwas an dem ändern, was ich für dich empfinde.« Er zeichnet mir Spiralen auf den Handrücken und wendet dann den Blick ab. »Weißt du nicht, dass ich alles für dich tun würde?«
Tief in mir verschiebt sich etwas und verrät mir, was ich schon immer gewusst habe: Die Bindung zwischen uns ist mehr als nur eine Partnerschaft. Beck ist ohne jeden Zweifel meine andere Hälfte.
Aber ich weiß nicht, was ich glauben soll. Mein Leben lang habe ich gehört, dass Empfindsame die Menschheit vernichten und mir Schaden zufügen wollen. Aber jetzt bin ich angeblich eine von ihnen, und nicht nur das, ich bin eine Dunkelhexe – eine Zerstörerin, die sich von Zorn und Furcht nährt. Und dennoch bin ich nicht böse? Obwohl ich Menschen getötet habe? Nichts ergibt mehr einen Sinn.
Beck setzt sich auf und beugt sich näher zu mir. Unsere Gesichter sind nur Zentimeter voneinander entfernt. Seine Lippen nähern sich meinen. Ich muss mich bloß vorbeugen, nur ein kleines bisschen, dann treffen sie sich.
Ohne Vorwarnung steht er auf und geht zum Rande des Schattens, wo die hängenden Zweige den Boden berühren. Er hält mir den Rücken zugewandt, aber ich merke ihm an, dass etwas nicht stimmt. Meine Arme sehnen sich danach, ihn festzuhalten und zu trösten. Ich will ihm sagen, dass alles gut wird, aber das kann ich nicht. Mein Körper will mir einfach nicht gehorchen.
Etwas, das er vorhin gesagt hat, schlängelt sich in mein Gehirn zurück. »Du bist stärker als ich, nicht wahr? Und die Lichthexen arbeiten irgendwie dem entgegen, was mit mir los ist? Vielleicht muss ich ja nicht Dunkel sein. Wir könnten irgendwo leben, wo es viele Lichthexen gibt, dann könnte ich für immer so wie jetzt bleiben. Ich könnte normal sein.«
»So einfach ist das nicht, Lark.« Er dreht sich mit ernster Miene und verstörtem Blick zu mir um. »Du bist Dunkel, damit musst du dich abfinden.«
Ich stehe auf, streiche mir das Kleid glatt und gehe auf ihn zu. Die Hitze von jenseits des Baumschattens schleicht sich in unsere grüne Festung ein. Als ich meine Hand in Becks schiebe, drücken seine Finger rasch meine – eine Umarmung nur mit den Händen, wie wir sie ausgetauscht haben, als wir noch jünger waren.
Ich greife fester zu. »Wir sind keine Kinder mehr, und wir sind hier, zusammen. In wenigen Wochen werden wir aneinandergebunden. Bethina hat mir gesagt, dass es in meiner Familie nichts Ungewöhnliches ist, dass Licht- und Dunkelhexen Bindungen eingehen. Und deine Vorfahren haben das doch auch getan, nicht wahr? Charles’ Eltern?«
»Ich kann mir ein Leben ohne dich nicht vorstellen, Lark.«
Er tritt zurück und hält mich auf Armeslänge von sich. Sogar aus diesem Abstand spüre ich, dass sein Herz hämmert. Mein Atem geht schnell und flach. Bitte, bitte, mach, dass er mich jetzt küsst!
Seine nächsten Worte sind nur ein heiseres Flüstern: »Wir sind verflucht. An unserem Geburtstag wirst du beginnen, mir langsam mein Licht abzuzapfen und dich davon zu nähren. Deine Dunkelheit wird mich verschlingen. Ich werde dafür bezahlen, dass ich achtzehn Jahre lang stärker war als du.« Mit Tränen in den Augen fährt er fort: »Wir dürfen nicht für immer aneinandergebunden werden, Vögelchen, denn in deiner Nähe zu sein wird mich töten.«
20
Die Zeit steht still, während Becks Worte in meinem Gehirn hin und her gleiten und nach einem Ort Ausschau halten, an dem sie sich einnisten können. Sie finden einen Landeplatz und stürzen mit voller Wucht auf mich ein.
»Nein«, flüstere ich. »Ich werde dich doch nicht … Das … das könnte ich nicht.« Blutgeschmack brennt mir auf der Zunge: Meine Lippen bluten. Ich habe darauf gebissen, um meine Schreie zurückzuhalten. »Wer hat dir das
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