Eisweihnacht
spürte ihren Zorn zurückkommen. Er hatte ihrer Familie so sehr geschadet, und nun trieb er auch noch Spielchen mit ihr.
«Was soll das heißen?», fragte sie, noch einmal so kühl.
«Gar nichts. Dass du meinem Vorschlag gefolgt bist.»
Nun war Elise ehrlich verwirrt. Abgesehen davon, dass der Klang seiner Stimme ebenfalls zur Verwirrung beitrug, weil ihr die Erinnerung zurückkam, wie sehr sie einmal diese Stimme gemocht hatte, die sich jetzt so kalt anhörte. «Welchem Vorschlag?», fragte sie. «Ich weiß von keinem Vorschlag.»
Carl stand von seinem Sessel auf, kam um den Tisch und lehnte sich im Stehen an die Tischkante, die Arme verschränkt. Er sah sie nicht an, sondern zum Fenster.
«Dass wir mal miteinander reden sollten.»
«So? Als wir uns am Main getroffen haben, hast du davon allerdings kein Wort gesagt. Ich glaube, du hast gesagt, ich soll doch bitte weggehen und dich machen lassen. Wie ist es eigentlich dem Droschkenfahrer noch ergangen?»
«Nur ein paar Prellungen und eine gebrochene Rippe, sagte der Chirurg. – Elise, tu nicht so ahnungslos. Ich habe heute Vormittag eine Karte bei euch abgeben lassen. Oder willst du sagen, dass du sie nicht bekommen hast?»
«Eine Karte? Nein. Die hab ich wirklich nicht bekommen. Ich hatte bloß einmal die Glocke gehört und gefragt, wer das war. Und dann hieß es, es sei jemand für das Holz gewesen. Wenn es stimmt, was du sagst, dann hat wohl meine Tante die Karte abgefangen. Zuzutrauen wäre es ihr. Sie mischt sich gern ein, wie ich in letzter Zeit gemerkt habe.» Elise war erleichtert, dass sich ihre Zunge jetzt gelöst hatte. Aber sie redete ein bisschen nervös und ein bisschen viel, sie musste aufpassen, wo das enden würde.
«So bist du also von selber gekommen? Dann wundert es mich eigentlich, dass du die Idee nicht schon früher hattest.»
Was gibt ihm das Recht, so überheblich daherzureden?, dachte Elise. «Na ja», sagte sie, «ich wäre wohl schon früher gekommen. Aber es ist so, ich habe von deinen … deinen Umtrieben erst jetzt erfahren. Ich wusste bis gestern nicht, dass du Geschäftsführer bei Riemenschneider bist.»
Carl lachte höhnisch.
«Meine Umtriebe», sagte er. «Natürlich, deshalb bist du da.» Er schwieg nachdenklich und sah wieder zum Fenster hinaus. Elise schwieg ebenfalls, wartete, dass er sich erklären würde. Oder vielleicht entschuldigen? Das wäre ein guter Anfang.
«Ach, weißt du», sagte er schließlich, «ich weiß bald selber nicht mehr, warum ich das eigentlich angefangen habe. Das Problem ist, nachdem Riemenschneider angebissen hat, ist es schwer für mich, mit dem Spiel wieder aufzuhören. Der Patron will jetzt die Früchte seiner Arbeit sehen.»
Die Früchte seiner Arbeit.
Elise spürte heißen Zorn, weil Carl das so salopp dahinsagte. Mit beinahe zitternder Stimme fragte sie, um Selbstbeherrschung bemüht: «Und diese Früchte wären … unser Bankrott?»
Er zuckte mit den Schultern. «So ungefähr.»
Jetzt konnte Elise sich nicht mehr beherrschen. «Was bist du doch für ein Mensch, Carl!», rief sie. «Und ich hatte dich für so ehrlich und warmherzig gehalten. Ich glaube, ich habe dich gar nicht richtig gekannt.»
Er lachte auf, dann sah er ihr direkt ins Gesicht.
«Ich Sie auch nicht, Fräulein Best. Dass du mich fallen lassen würdest wie eine heiße Kartoffel, bloß weil’s dem Herrn Papa nicht passt. Du wolltest bloß spielen. Du hattest nicht viele Verehrer und bist nie tanzen gegangen wegen deinem Bein, und da hast du halt zum Amüsement was mit den Angestellten angefangen. Mit dem nächsten und dem vorigen hast du’s wahrscheinlich genauso getrieben. Was Ernstes war da nie beabsichtigt.»
Elise spürte ihre Wangen glühen. Aus irgendeinem Grund stach es ihr besonders ins Herz, dass er ihr Bein erwähnte.
«Was für ein Unsinn», sagte sie. «Was hätte ich denn gegen meinen Vater ausrichten können? Du hast doch auch gekuscht.»
Er lachte noch einmal. «Ja, aber ich war der Angestellte. Und er droht mir mit den Gendarmen, und das Fräulein höhere Tochter steht daneben und sagt keinen Ton. Nicht mit einem Wort hast du mich verteidigt.»
«Aber …» Elise fiel nichts zu sagen ein. Wie konnte sie Carl das erklären? Dies war eben die Methode, wie man am besten mit dem Vater umging: Man ließ ihn schimpfen, bis der Zorn verraucht und er wieder der Vernunft zugänglich war. Vor allem aber war ihr Schrecken damals so groß, sie war einfach sprachlos gewesen. Später hatte sie es
Weitere Kostenlose Bücher