Eisweihnacht
die beiden als Familie vereinen oder jedes wieder zu seinem Eigentümer zurückgeht. Ich wüsste nicht, was daran so böse ist.»
Die Tante setzte sich neben Elise auf die Ofenbank. «Kind. Der Gehling ist ein lieber, guter Mensch. Du mehr als alle anderen solltest wissen, dass es auf den Charakter am meisten ankommt.»
«Es ist freilich leicht, vierundzwanzig Stunden lang einen guten Charakter zu zeigen, ohne eine echte Probe bestehen zu müssen. Im Übrigen habe ich den guten Charakter von Gehling nicht abgestritten. Ich will nur nichts überstürzen.»
«Es ist aber doch nun einmal so, der Gute muss in wenigen Tagen in seine Pfarrei zurück. Du wirst ihn doch nicht ohne definitive Auskunft gehen lassen. Er hatte ja ursprünglich sogar gehofft, dich gleich mitzunehmen und eine Weihnachtshochzeit zu veranstalten. Man kann ihn doch nicht noch länger alleine lassen mit seinen fünf Kindern.»
«Weihnachtshochzeit?», fragte Elise entsetzt. «Das meinst du doch nicht im Ernst. Der Mann kann doch nicht hierherkommen und glauben, dass er drei Tage später mit einer Braut im Schlepptau wieder zurückfährt.»
«Och, warum denn eigentlich nicht? Warum bis zum Frühling warten? Ich habe mich angeboten, dass ich ein paar Wochen mitkommen würde und mich um die Festlichkeiten kümmern und dir die Kammerjungfer spielen, damit du für den Anfang nicht so alleine bist.»
Elise stellte ihre Füße auf den Boden und sah ihre Tante entsetzt an. «Tante Lotte, hör mir bitte zu. Ich bin dreißig Jahre alt. Dies ist das letzte, hörst du, das letzte Mal, dass du dich in meine Angelegenheiten einmischst. Ratschläge kannst du mir geben. Aber hinter meinem Rücken Pläne aushecken – das will ich nie wieder erleben, hörst du?»
Die Tante sah pikiert und erschrocken drein.
«Nun ja», sagte sie. «Bitte, wenn du darauf bestehst. Ich wollte dir nur helfen. Oft weiß man ja selbst nicht, was am besten …»
«Wenn
ich
nicht weiß, was am besten für mich ist», sagte Elise, «dann weißt du es ganz bestimmt nicht.» Noch nie hatte sie so hart und bitter zu ihrer Tante gesprochen. Aber sie konnte nicht anders, sie musste an die Zeiten vor drei Jahren denken, als sie so sehr auf eine Nachricht von Carl gewartet hatte, und heute wusste sie, man hatte ihr diese vorenthalten. Was wäre alles anders verlaufen, wenn Vater und Tante sich nicht eingemischt hätten …
«Habt ihr sie eigentlich gelesen, die Briefe, die ihr damals abgefangen habt?», rutschte es Elise böse heraus.
«Ich weiß nicht, wovon du redest», behauptete die Tante, und es hörte sich furchtbar geheuchelt an.
«Ach, nichts», korrigierte Elise sich. Das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte, waren irgendwelche Vorträge von Tante oder Vater betreffs Carl. Sie schlüpfte schnell in ihre Pantoffeln, stand auf und verließ den Raum. An der Tür drehte sie sich noch einmal um. Die Tante tat ihr bei allem Ärger doch auch wieder etwas leid. Sie wollte nicht im Bösen scheiden.
«Tantchen? Mach dir keine Gedanken. Aber du hast das verstanden, ja? Ich muss meine Angelegenheiten wirklich selber ordnen.»
Die Tante stand ebenfalls auf, zupfte sich das Kleid zurecht. «Ja, gut, bitte, wenn du darauf bestehst.»
«Dann gehe ich jetzt schon einmal hoch. Morgen sehen wir weiter.»
«Halt, Augenblick, mein Fräulein. Das ist ja noch nicht alles, was in deiner Abwesenheit vorgefallen ist.»
«Oje. Was war denn noch?»
«Eine Dienstperson von diesem Goldfarb war da, dem Onkel von deinem Josua. Sie müsse leider ausrichten, dass ihr Herr im Thüringer Wald plötzlich verstorben sei, und wenn das Fräulein Best noch etwas an ihn auszurichten habe, dann sei der Sohn des Goldfarb, ein Herr Fechner, die beste Adresse. Nur dass dieser ab morgen auch einige Tage nicht da sein wird, weil er seine Mutter und die Leiche seines Vaters heimholen fahren muss.»
«Ach du lieber Himmel», seufzte Elise. «Das ist schlimm. Hast du es Josua schon gesagt?»
«Nein. Kein Wort. Ich hab gedacht, wo es dem Bub ohnehin so schlechtgeht mit den kaputten Füßen und Fingern, und er die Mutter ja gerade verloren hat … ach, ich hab gedacht, bis Weihnachten bleibt er eh bei uns, und so lange lässt man ihn noch in dem Glauben, dass der Onkel lebt.»
«Gut so, Tantchen. Da bin ich ganz einig mit dir. Es wird sich am Ende eine Lösung finden. Aber wir müssen den Jungen jetzt noch nicht damit beunruhigen, dass alles wieder so unsicher geworden ist.»
«Der Doktor war übrigens auch da. Der
Weitere Kostenlose Bücher