Eiswein (German Edition)
hypnotisiert auf seinen gerade schwarz werdenden Bildschirm starrte, wartete er lieber, bis der Anfall vorbei war. Schwarz’ Gesichtsfarbe hatte inzwischen von dunkelblau ins Gelbgräuliche gewechselt, und verlief von der Nase aus über die Wangenknochen und um die Augen herum.
»Die Rechtsmedizin bestätigte meine Vermutung«, sagte Braunagel, ohne seinen Blick vom Bildschirm zu wenden. »Das bedeutet, dass jeder für den Mord infrage kommt, der einen Prügel in der Hand halten und damit zuschlagen kann. Und will.«
»Christoph Orthler hat angerufen«, wagte Schwarz einen Einwurf und blieb neben Braunagel stehen.
»Und, was wollte er?«
»Er hat zugegeben, dass er mal eine Zeit lang gekokst hat, sagt aber, er sei seit Längerem clean.«
»Was ist so bemerkenswert daran, wenn man davon absieht, dass die Zeller zumindest ein wenig recht hatte?«
»Dass seine Mutter es auch wusste.«
»Ja, und?«
Schwarz setzte sich ihm gegenüber an seinen Schreibtisch und fuhr seinen Computer hoch. Das leise Sirren löste endlich den Blick seines Kollegen von dessen Bildschirm.
»Sie hat ihn für den Herzinfarkt seines Vaters verantwortlich gemacht, der sich damals wohl furchtbar darüber aufgeregt hatte, als er das mit dem Koks herausbekam.«
Braunagel runzelte die Stirn.
»Der junge Orthler hat angerufen, um dir das zu erzählen?«, fragte er ungläubig.
»Genau so ist es. Das ist aber nicht ganz so wichtig. Wichtig ist meiner Meinung nach etwas anderes, das er beiläufig erwähnte. Er sagte, dass seine Mutter seinen Vater und ihn wohl belauscht haben musste, als jener ihn wegen des Rauschgiftes zur Rede stellte, und dass sie ihm ausgerechnet in der aktuellen Situation die Schuld am Tod des Seniors vorgeworfen habe.«
»Was außer der Ungeheuerlichkeit dieses Vorwurfs ist daran so wichtig?«
»Dass Christoph sich darüber aufgeregt hat, wie diese Frau es immer wieder schafft, sich anzuschleichen. Das haben wir ja auch mitbekommen, als wir zum ersten Mal da waren.«
In Braunagel kam plötzlich Leben.
»Stimmt. Das ist mir auch aufgefallen. Eine ziemlich unangenehme Marotte dieser Frau, die mir auf den Nerv gehen würde.« Er erinnerte sich mit Schaudern daran, dass seine Großmutter ihn mit seiner allerersten Freundin überrascht hatte, als sie beide hinter dem Haus im Schuppen ausprobierten, was es mit dem jeweils anderen Geschlecht auf sich hatte. Sie hatten die alte Dame erst wahrgenommen, als sie bereits direkt vor ihnen stand, und in ihrer Reaktion peinlicher war als das, was sie beide da gerade gemacht hatten. Fand jedenfalls Braunagel. Das Mädchen ließ sich nach dem Vorfall nie wieder bei ihm blicken.
»Könnte doch sein, dass Frau Orthler ihren Sohn bei seinem Gespräch mit Julia ebenfalls unbemerkt belauscht hat. Sei’s vor dem Tor oder im Ort.«
»Worauf willst du hinaus?«, wollte Braunagel wissen.
»Nun, sie hat doch ihren Sohn gefragt, wer die war, die da am Tor stand. Als er ihr weismachen wollte, sie sei nur eine Kundin, ist sie möglicherweise ausgerastet. Sie wusste es besser.« Schwarz grinste ihn über die beiden Bildschirme hinweg an. »Verstehst du was von Weinen?«, fragte er schließlich.
»Hey, bin ich Franke oder was?«
»Niemand fragt im September nach Eisweinen, Herr Kollege. Weil man darüber erst Auskunft geben kann, wenn es einen gibt, kapiert?«
Braunagel zuckte die Schulter.
»Wein vom Vorjahr?«
»Ah ja, und du kennst dich angeblich mit Weinen aus!« Schwarz schüttelte mit gespielter Verständnislosigkeit den Kopf, bedauerte es aber offensichtlich gleich wieder, weil er die Hände an seine Schläfen legte und sie vorsichtig rieb. »Julia war Gastronomin und wusste, dass es in dem Jahr so gut wie keinen Eiswein in der Region gegeben hat. Es war nicht kalt genug. Die paar Flaschen, die es gab, waren innerhalb kürzester Zeit verkauft. Nach denen hat sie nicht gefragt, so viel ist sicher, zumal ein gutes Weingut ohnehin selten Eisweine über die neue Ernte hinaus auf Lager hat. Und das war auch Margarete Orthler klar. Also könnte diese Lüge ihres Sohnes etwas in ihr ausgelöst haben, das sie zumindest hinter den beiden herspionieren ließ.«
»Scheiße.«
»Oder so, ja.«
»Die Seniorchefin ist doch ebenfalls weggefahren, nachdem der Junior den Hof verlassen hatte, hast du zumindest gesagt«, ergänzte Braunagel die Überlegungen seines Kollegen. »Was für ein Alibi hat sie eigentlich für den Mordabend?«
»Bislang hat es für mich immer so geklungen, als hätte sie
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