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Eiswind - Gladow, S: Eiswind

Titel: Eiswind - Gladow, S: Eiswind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gladow
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sich wieder aufzurappeln und trockene Sachen anzuziehen. Heute war der Tag der Preisverleihung und des anschließenden Festes, das seinen gemeinsamen Bund mit ihr besiegeln sollte.
    Nach einiger Zeit gelang es ihm, sich zu fangen und über das Internatsgelände in Richtung Aula zu gehen, wo die Preisverleihung stattfand.
    Auf seinem Weg begegnete er einigen der Jungen, die an seiner Schmach mitgewirkt oder tatenlos dabeigestanden hatten. Sie sahen ihn nicht an, registrierten ihn scheinbar kaum. Manchmal fragte er sich, ob es wenigstens ein paar unter ihnen gab, die sich schämten, wenn sie mal wieder an einer der gemeinschaftlichen Läuterungen teilgenommen hatten. Sie erschienen ihm wie eine Horde wilder Tiere, die, vom Jagdinstinkt getrieben, in der Gruppe wie von einem Kollektivbewusstsein besessen agierten.
    Er versuchte, jeden Gedanken an das Geschehene abzustreifen,
während er in den mit Eltern und Schülern überfüllten Saal trat.
    Man hatte den Raum mit mehreren Hundert Stühlen ausgestattet, und er ließ seinen Blick durch die Reihen streifen. SIE standen wie erwartet ziemlich weit vorn in der Mitte. Ferdi saß bei ihnen, neben ihm ein leerer Stuhl, der für ihn bestimmt war. Er war sicher, dass SIE wieder verärgert sein würden, weil er wie immer unpünktlich und damit unzuverlässig war. Doch er hatte nicht die Kraft, sich zu IHNEN zu setzen. Also blieb er im hinteren Teil des Saals und lehnte sich dort an die Wand.
    Der Vortrag des Rektors, der wie jedes Jahr die Preisverleihung vornahm, hallte dumpf durch den Saal, ohne dass er den Worten Beachtung zu schenken vermochte. Das Einzige, was ihn hin und wieder aus seinen Gedanken an die bevorstehende Besiegelung seines Bundes zu reißen vermochte, war das vernehmliche Quietschen des Mikros, wenn Dr. Kern diesem zu nahe kam.
    Er sah SIE, deren Blicke auf dem Pult ruhten, gierig darauf wartend, endlich Ferdis Namen zu hören. Ferdi trug eine graue Bundfaltenhose, ein weißes Hemd und darüber einen dunkelblauen Pullunder. Er wirkte mit seinen blonden, artig frisierten Haaren und dem zarten Lächeln, mit dem er hier und da IHREN Blicken begegnete, als ob er kein Wässerchen trüben könnte.
    Endlich war es so weit. Es hatten schon einige der Jungen auf der Bühne Platz gefunden und ihre Urkunden entgegengenommen, als Ferdis Name ertönte und er seine Ehrung für hervorragende sportliche Leistungen empfangen durfte.
    Ferdi strahlte souverän, während er zur Bühne emporstieg,
und nahm den Applaus stolz und mit scheinbar sympathischer Bescheidenheit entgegen. Dr. Kern würdigte nicht nur seine Leistungen als Sportler, sondern hob ihn auch als hervorragenden Schüler hervor, dessen fairer Sportsgeist sich in seiner Offenheit und Kollegialität zu seinen Mitschülern widerspiegele.
    Ihm war, als müsse er erneut mit dem Würgereiz kämpfen, den er im Toilettenraum des Sportplatzes verspürt hatte. Aber das hier schmeckt bitterer und ist widerlicher als der Gestank der Kloake, dachte er. Eine plötzliche Hitze stieg in ihm auf, und er widerstand dem erneuten Verlangen, sich auf die Fingerkuppen zu beißen. Stattdessen grub er das, was von seinen Fingernägeln der rechten Hand übrig geblieben war, in die Zwischenräume seiner geballten Faust.
    Die Verleihung dauerte eine Ewigkeit, wenngleich nur die jeweiligen drei Besten einer Sportart persönlich auf der Bühne geehrt wurden. Danach gab es in der Schulkantine ein Buffet für Eltern und Schüler. Eine willkommene Gelegenheit für die Väter und Mütter, ihr Gefieder zu spreizen und den Stolz auf ihre Sprösslinge zu zelebrieren.
    Ihm blieb nichts anderes übrig, als zu IHNEN hinüberzugehen. Sie hatten sich seit nahezu drei Monaten nicht gesehen, und so kam er nicht umhin, IHNEN zur Begrüßung die Hände zu schütteln und mit IHNEN zu essen. Immerhin hatte Ferdis Erfolg den Nutzen, dass SIE sich im Wesentlichen auf ihren leiblichen Sohn konzentrierten und somit seinen lotterigen Jeans und dem ungebügelten Hemd wenig Beachtung schenken konnten. Angespannt sah er sich in der hochwertig möblierten Kantine um und verspürte den schneller schlagenden Takt seines Herzens, als er endlich Ina entdeckte.

    Sie saß gemeinsam mit ihren Eltern einige Tischreihen von ihm entfernt und unterhielt sich angeregt. Sein Blut pulsierte in einem ungewohnt betörenden Takt immer heftiger in seinen Adern, als er bemerkte, dass sie immer wieder zu seinem Tisch herübersah. Es war ein Gefühl unendlichen Glücks für ihn, so

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