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Eiszeit

Eiszeit

Titel: Eiszeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias P. Gibert
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zurückschnappen ließ.
    Das Innere präsentierte sich wie jede zweite deutsche Wohnung. Einzig die große italienische Flagge über dem Sofa im Wohnzimmer stellte einen deutlichen Kontrast zum sonst eher biederen Einrichtungsstil der Iannones dar. Die Polizisten sahen sich in der Küche und im Bad um, danach im Schlafzimmer und in einem weiteren, offensichtlich als Gästezimmer genutzten Raum.
    »Vielleicht das frühere Kinderzimmer?«, vermutete Hain.
    »Nein«, antwortete Lenz.
    »Was macht dich so sicher?«
    »Er hat es mir im Präsidium erzählt, als er bei mir war. Sie hatten keine Kinder.«
    » Hmm «, machte der Oberkommissar. »Dann lass uns mal nach den Auszügen suchen.«

     
    *

     
    Sie durchsuchten systematisch alle Regale, Schränke und Schubladen in der Wohnung, ohne auf einen einzigen Kontoauszug zu stoßen. Neben dem Bett im Schlafzimmer standen ein paar Aktenordner auf einem kleinen Schreibtisch, deren Inhalt aus Belegen für die Steuerabrechnung und Prospekten für Gastronomiebedarf bestand.
    »Was für eine Scheiße!«, fluchte Hain eine halbe Stunde später. »Hier liegt auch nicht der Hauch von irgendwas Persönlichem rum, ich kapiere das nicht. Haben wir vielleicht in der Eisdiele was übersehen?

10
    Heinrich Lappert versuchte, sich zu orientieren, doch um ihn herum war es stockdunkel. Sein Kopf schmerzte, in seinem Mund schmeckte er Blut und seine Augen wurden von irgendetwas so stark komprimiert, dass er bunte Farben sah. Obwohl er keine Ahnung hatte, was mit ihm geschehen war, durchzuckte ihn eine vollkommene, alles ausfüllende, alles dominierende Panik. Langsam kamen die ersten Eindrücke zurück und er nahm wahr, dass er in einem Fahrzeug unterwegs sein musste. Das rhythmische Schaukeln und ein sonores, brummendes Geräusch beseitigten jeden Zweifel. Der Architekt wollte den rechten Arm hinter dem Rücken hervorziehen, doch es war ihm nicht möglich, seine Hände voneinander zu lösen. Er brachte die Schultern nach vorne und versuchte es mit mehr Kraft, bis er resignierend feststellen musste, dass seine Handgelenke hinter dem Rücken gefesselt waren.
    Trotz des nervtötenden Pochens im Kopf versuchte er, sich an die Ereignisse vor seiner Ohnmacht zu erinnern:
    Da war dieser Mann, dessen Namen er wusste, der ihm jedoch partout nicht einfallen wollte. Und der dunkle Wagen, aus dem er gestiegen war. Je angestrengter er sich bemühte, desto diffuser wurde die Erinnerung und desto mehr schmerzte sein Kopf.

     
    *

     
    Nun wurde sein Körper herumgeworfen, weil das Fahrzeug, in dem er sich befand, eine enge Kurve nahm. Lappert stemmte sich gegen die Wand in seinem Rücken und versuchte gleichzeitig, die Beine anzuziehen, doch der Platz war dafür nicht ausreichend. Seine Knie und Fersen schlugen gleichzeitig an. Mit ruckartigen Bewegungen gelang es ihm, die Seitenlage zu verlassen und auf dem Rücken zum Liegen zu kommen, was jedoch wegen der gefesselten Hände alles andere als bequem war. Vorsichtig bäumte er den Oberkörper langsam auf, stieß nach kurzer Zeit mit der Stirn gegen eine Begrenzung und ließ sich wieder zurückfallen. Der 62-jährige Architekt schluckte, drehte sich zurück auf die Seite und stemmte die Beine mit aller Kraft gegen die Wände seines Gefängnisses, ohne Erfolg.
    Ein Irrtum, dachte er resigniert, als ihm immer klarer wurde, dass er das Opfer einer Entführung sein musste. Es konnte sich nur um einen Irrtum handeln, dessen war er sich hundertprozentig sicher.
    Dann bremste das Fahrzeug, wurde langsamer und kam schließlich zum Stillstand. Das Brummen des Motors erstarb. Er hörte dumpf das Schlagen einer Tür, danach war für einen Moment Ruhe. Gespenstische Ruhe. Sekunden, vielleicht auch Minuten später, ihm fehlte jegliches Zeitgefühl, wieder das Geräusch einer Tür. Einer Schiebetür. Und Schritte. Lappert versuchte, möglichst flach zu atmen, um hören zu können, was um ihn herum vorging. Dann die Stimme eines Mannes. Der Architekt bemühte sich vergeblich zu verstehen, was er sagte. Eine weitere Stimme. Wieder ein Mann. Sie sprachen miteinander, doch Lappert konnte nicht hören, welcher Sprache sie sich bedienten. Die beiden lachten, danach gab es eine weitere Pause. Nach einer für den Architekten enervierend langen Zeit wieder Gesprächsfetzen und sein verzweifelter, erfolgloser Versuch, dem Gespräch zu folgen. Unmöglich. Dann näherten sich Schritte.

     
    *

     
    Er schmeckte frische Luft, sog gierig die Lungen voll, presste und atmete erneut.

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