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Eiszeit

Eiszeit

Titel: Eiszeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias P. Gibert
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nichts heraus.
    Lenz griff nach seiner Hand, zog ihn nach oben und ein paar Meter zur Seite.
    »Ist er … tot?«
    »Ich befürchte es, ja«, antwortete der Polizist.
    »Aber das ist doch … Warum denn er?«
    »Wie, warum denn er? Ist das nicht Waldemar?«
    Winterschied schüttelte heftig den Kopf.
    »Nein.«

14
    Veronika Lappert fegte mit einem kleinen Besen die feuchten Haare, die sie um die Wunde ihres Mannes herum abgeschnitten hatte, auf ein Kehrblech, hob den Toilettendeckel an und kippte die Überreste der Wundversorgung in das weiße Becken. Danach entsorgte sie die übrig gebliebene Kamillenlösung, wischte mit einem Lappen Badewanne und Waschbecken aus und wusch zum Schluss ihre Hände.
    Die 58-jährige Frau atmete schwer, doch das war nicht der Reinigung des Badezimmers geschuldet. Sie atmete schwer, weil sie Jochen Mälzer und seine Frau nicht aus ihren Gedanken bekam. Immer und immer wieder musste sie an die Ungerechtigkeit denken, der ihr Mann sich beugen wollte. Und an die Verletzungen, die ihm im Auftrag dieser Leute zugefügt worden waren.

     
    *

     
    Seit 34 Jahren waren sie verheiratet. Sie hatte mit ihm die schlechten Zeiten zu Beginn seines Berufslebens durchgestanden und sich dann mit ihm darüber gefreut, als das kleine Architekturbüro besser und besser lief. Zwei Kinder hatten sie miteinander, eine Tochter, die in Kassel lebte, und einen Sohn in Berlin, beide ebenfalls Architekten. Vor zwei Jahren hatte ihre Tochter sie zu stolzen Großeltern eines süßen Mädchens gemacht, und wann immer es sich einrichten ließ, verbrachten sie ihre Zeit mit dem Enkelkind.
    Und nun saß sie auf dem Badewannenrand und zitterte bei dem Gedanken, dass sich die Prophezeiung ihres Mannes erfüllen würde.
    ›Mälzer gewinnt immer.‹
    So sehr sie sich auch anstrengte, sie bekam diesen Satz nicht aus dem Hirn. Und sie wollte nicht, dass die Mälzers in diesem Fall gewinnen würden.
    Vor etwa acht Jahren hatte ihr Mann zum ersten Mal einen kleinen Auftrag für Mälzer erledigt. Danach wurde die Zusammenarbeit enger und schon damals war abzusehen, dass mit dem Baulöwen nur dann ein gutes Einvernehmen herzustellen war, wenn er seine Forderungen durchsetzen konnte. Immer wieder hatte sie ihren Mann darum gebeten, nicht mehr für die Mälzer-Firmen zu arbeiten, ohne Erfolg.
    ›Er ist, wie er ist, und solange er pünktlich bezahlt, kann er sein, wie er will‹, hatte er einmal zu ihr gesagt.
    Vor drei Jahren hatte es eine erste temporäre Unterbrechung der Zusammenarbeit gegeben, nachdem eine Schlussrechnung des Architekten von Mälzer gnadenlos zusammengestrichen worden war. Nach einem Vierteljahr der Funkstille einigten sich die beiden und die Geschäftsbeziehung wurde fortgesetzt.
    Dann, vor etwa zwei Jahren, kam ihr Mann mit der Neuigkeit nach Hause, dass Mälzer ein, für Kasseler Verhältnisse riesiges, Outlet-Center bauen wollte. 75 Geschäfte, 850 Parkplätze auf vier Ebenen unter dem sechs Stockwerke hohen, architektonisch extravaganten Gebäude.
    ›Das kriegt der doch nie durch, an der Stelle, mitten auf der Wilhelmshöher Allee‹, hatte sie gemutmaßt, doch Mälzer hatte es natürlich geschafft. Nur ein knappes halbes Jahr später hatte er den Bauvorbescheid in der Tasche und Lappert begann mit der Detailplanung. Sein ganzes Büro, in dem mittlerweile neun Menschen arbeiteten, war mit diesem Auftrag beschäftigt, dessen Volumen alle bisherigen Aufträge in den Schatten stellte.
    In den ersten Monaten zahlte Mälzer pünktlich die vereinbarten Abschläge, doch vor etwa einem dreiviertel Jahr begann der Geldfluss zu stocken. Der Baulöwe erklärte Lappert , dass er im Zuge der Finanzmarktkrise mit Liquiditätsproblemen zu kämpfen hätte. ›Nichts Ungewöhnliches in diesen turbulenten Zeiten, in drei Monaten sind wir wieder flott‹, hatte er dem Architekten erklärt. Und so hatte Lappert weiter geplant, gewartet und gehofft, bis vor zwei Monaten ein Brief von Mälzer eingetroffen war, in dem er formlos und ohne Angabe von Gründen die Zusammenarbeit beendete. Jeder Versuch eines Gespräches endete fruchtlos, woraufhin Lappert vor einem Monat einen Mahnbescheid bei Gericht erwirkt hatte.

     
    *

     
    Und nun saß Veronika Lappert auf dem Badewannenrand im Erdgeschoss ihres Hauses und dachte darüber nach, dass sich mit dem angekündigten Verzicht ihres Mannes etwa 1.600.000 Euro in Luft auflösen würden. 1,6 Millionen.
    ›Nach diesem Auftrag höre ich auf‹, hatte er vor zwei Jahren gesagt.

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