Eiszeit
Aber bitte ganz zärtlich«, versuchte er einen Scherz. Veronika Lappert war nicht nach Scherzen. Sie ließ etwas von der Kamillenlösung, die sie vorbereitet hatte, in die hohle Hand laufen und bestrich damit die Verletzung.
»Das sieht furchtbar aus, Heinrich. Du hast ganz sicher eine Gehirnerschütterung, wenn nicht was Schlimmeres.«
»Gott sei Dank heilt alles auf der Kopfschwarte ziemlich schnell«, erwiderte er mit aufgesetzter Fröhlichkeit. »Kannst du dich erinnern, wie ich mir damals beim Nägelklopfen mit dem Zimmermannshammer die ganze Kopfhaut aufgerissen habe? Das hat geblutet wie ein Wasserfall und eine Woche später war nichts mehr davon zu sehen. Glaub mir, das wird hier genauso sein.«
»Und deswegen willst du dir diesen Angriff, diese schwere Körperverletzung gefallen lassen? Was kommt als Nächstes, ein Schuss ins Knie, wie im Krimi?«
Er stöhnte wieder leise auf, weil sie etwas zu fest auf die Wunde gedrückt hatte.
»Hör auf damit, Veronika. Ich werde das machen, was der Mann von mir verlangt hat. Ich gehe morgen zum Anwalt und bitte ihn, alle Klagen fallen zu lassen, damit das nicht noch mal passiert.«
»Und verzichtest damit auf das ganze Geld, für das du gearbeitet hast und das dir noch zusteht. Wäre es nicht sinnvoller, zur Polizei zu gehen und diesem Pack damit ein für alle Mal die Stirn zu bieten?«
»Nein. Und es ist überhaupt nicht gesagt, dass wir auch nur einen müden Cent zu sehen kriegen würden, selbst wenn wir vor Gericht gewinnen sollten. Du weißt, wie diese Leute das machen. Also hören wir auf, dem schlechten Geld gutes hinterherzuwerfen .«
»So kannst du dir diese Verletzung und diese Bedrohung schönreden, sicher. Aber nüchtern betrachtet ist das, was du heute erlebt hast, schweres kriminelles Handeln gewesen. Und wer sagt uns, dass es mit der heutigen Einschüchterung zu Ende ist?«
»Ich.«
»Aber das, was du machst, ist auch ein bisschen feige, das weißt du.«
Er schluckte. »Ja, gewiss. Aber ich werde es trotzdem so machen.«
»Marie von Ebner-Eschenbach sagt dazu: ›Das Recht des Stärkeren ist das stärkste Unrecht.‹ Und diesem Unrecht willst du dich beugen?«
Lappert war kurz davor, seine Frau zum ersten Mal seit vielen Jahren anzuschreien. Er wollte nichts mehr davon hören, wie sie mit dieser Sache umgehen würde, wie feige er sei, und was eine Frau vor mehr als 100 Jahren gesagt hatte.
»Ja, das will ich. Ich will es, weil ich erkannt habe, dass Mälzer gewinnt. Er gewinnt einfach immer.«
13
Lenz klopfte kurz an, trat ein und knallte die Plastiktüte mit den Geldscheinen auf Heini Kostkamps überfüllten Schreibtisch. Der Spurensicherer griff nach einem Kuli, hob die Oberseite an und warf einen Blick ins Innere des Beutels. »Aus einem Bankraub stammt das nicht, so viel ist klar«, stellte er lakonisch fest.
»Wir haben es aus einem Tresor in der Wohnung der Iannones . Schau, ob du andere Fingerabdrücke als die des Ehepaares findest. In der Hauptsache geht es um die Euroscheine.«
»Das kann ich mir vorstellen. Die D-Mark dürften ein Schwarzgeldüberbleibsel aus alten Tagen sein, was meinst du?«
»Sehe ich genauso. Hast du sonst schon was für mich?«
»Nein. Wenn du was über das Projektil aus der Wand wissen willst, musst du dich an die Kriminaltechnik wenden. Aber das ist erst interessant, wenn Doktor Franz die Projektile geliefert hat, mit denen die beiden getötet wurden. Ansonsten gab es am Tatort erschreckend wenig Spuren zu sichern, was auf Profis hinweist. Die sind gekommen, haben ihren Job gemacht und sind wieder verduftet.«
»Gut. Sag mir Bescheid, wenn sich irgendwas ergeben sollte.«
Der Hauptkommissar wollte das Büro verlassen, doch Kostkamp gab ihm mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er noch einen Moment warten solle.
»Was ist denn mit deinem Urlaub, Herr Kollege? So tief, wie du dich in den Fall kniest, kannst du doch unmöglich wie geplant verduften.«
Lenz machte ein zerknautschtes Gesicht.
»Das weiß ich offen gestanden noch nicht so genau. Eigentlich sollte ich mich zurückziehen und Thilo die Ermittlungen überlassen, aber es will mir nicht gelingen. Wahrscheinlich, weil ich Iannones Befürchtungen nicht die Bedeutung beigemessen habe, die es gebraucht hätte, um sein Leben und das seiner Frau zu retten.«
»Das habe ich mir gedacht. RW hat mir von dem Besuch des Italieners bei dir und seiner Angst vor Mälzer erzählt. Aber sich schuldig zu fühlen, hat bei der Bewältigung von
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