Eiszeit
Chef. »Ja, schön hier. Leider sind wir aber nicht hier, um die schönsten Ecken Kassels zu entdecken, sondern weil wir uns mit dem Zeugen eines Mordfalles treffen wollten. Und wie es aussieht, geht das prächtig in die Hose.«
»Nun warte doch mal und sei nicht so pessimistisch. Vielleicht kommt er ja noch.«
Lenz griff nach seiner Jacke und stand auf. »Am Arsch hängt der Hammer. Mir reichts .« Er sah in die Richtung, in der Winterschied verschwunden war. »Lass uns …«, wollte er Hain etwas mitteilen, wurde jedoch vom Klingeln seines Mobiltelefons unterbrochen.
»Ich bins , RW «, meldete sich der Anrufer. »Habt ihr schon mit dem Berber gesprochen?«
»Vergiss es«, brummte Lenz. »Hast du wenigstens was erreicht?«
»Nur inoffiziell, aber das ist immerhin etwas. Molina Mälzer hat gestern Morgen 50.000 Euro von einem der Geschäftskonten abgehoben.« Er machte eine Pause. »Soweit ich es in der Kürze der Zeit abklären konnte, gab es allerdings auf den Konten, die unter Iannones Namen geführt werden, keine Einzahlung in ähnlichen Dimensionen. Eigentlich gab es gar keine.«
»Hm«, machte Lenz und sah im Augenwinkel, dass in einiger Entfernung Winterschied mit einem Mann im Schlepptau auftauchte. »Ich muss Schluss machen, wir sehen uns im Präsidium. Bis später.«
*
Winterschied und sein Begleiter blickten sich immer wieder suchend um, während sie sich langsam den Polizisten näherten. Der Zeitungsverkäufer zog den rothaarigen, hellhäutigen Mann mit dem Strohhut auf dem Kopf hinter sich her und redete beruhigend auf ihn ein. In etwa 40 Metern Entfernung blieben sie stehen. Ihr von wilden Gesten begleitetes Gespräch wurde zwar lauter, doch Lenz konnte trotzdem keine Einzelheiten verstehen. Winterschied setzte sich wieder in Bewegung, doch der andere verharrte. Wieder ein kurzes Palaver.
Dann krachte ein Schuss.
Hain warf sich hinter die massive hölzerne Liege und riss seine Waffe aus dem Holster . Lenz brauchte ein paar Sekundenbruchteile länger, bis er sich zu Boden geworfen hatte und hinter einen dünnen Baum kroch. Irgendwo wurde die Schiebetür eines Autos zugeworfen und ein großvolumiger Dieselmotor heulte auf.
Der Zeitungsverkäufer kniete mit weit aufgerissenen Augen über dem Mann, den er eben noch hinter sich hergezogen hatte. Offenbar war es ihm völlig egal, möglicherweise selbst getroffen zu werden.
»Runter«, schrie Hain in seine Richtung. »Runter auf den Boden, bis ich was anderes sage.« Keine Reaktion.
»Bei dir alles in Ordnung, Paul?«
Lenz sah hinüber zu Winterschied , dann zu Hain und wieder zurück.
»Ja, alles klar.«
Noch bevor der Hauptkommissar den kurzen Satz beendet hatte, federte Hain nach vorne, hetzte geduckt zu einem dicken Baum und von dort aus weiter auf den Weg zu, über den sie gekommen waren. Lenz fixierte noch immer Winterschied , der sich keinen Millimeter bewegt hatte und auf den Mann im Gras starrte. Dann kam er hoch, sprang mit ein paar schnellen Schritten hinter die Holzliege, rannte auf die beiden zu und stieß Winterschied zu Boden. »Unten bleiben.«
Mit einem Auge beobachtete er das Gelände in der Richtung, aus der der Schuss gekommen war, mit dem anderen warf er einen Blick auf den Fremden neben sich, der auf dem Rücken lag und ihn mit glasigem Blick anstarrte. Instinktiv legte der Hauptkommissar Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand an den Hals des Mannes, doch da war nichts. Lenz beugte sich nach vorne, und jetzt erkannte er den roten, rasch größer werdenden Fleck auf dessen Brust. »Scheiße«, murmelte er, zog sein Telefon aus der Sakkotasche und wählte. Hinter seinem Rücken hörte er den Zeitungsverkäufer schluchzen. Er gab den Notruf durch, orderte einen Notarztwagen, obwohl er wusste, dass der Arzt nur noch den Tod des Mannes neben ihm würde feststellen können, und ließ das Telefon zurückgleiten .
*
»Sie sind weg«, keuchte Hain atemlos ein paar Sekunden später, nachdem er zurückgekehrt und neben Lenz zum Stehen gekommen war. »Ein weißer Lieferwagen mit Hamburger Kennzeichen, sagt zumindest eine Frau, die gerade auf dem Weg zum Altglascontainer war. Die Fahndung läuft schon.«
In der Ferne hörten sie die ersten Sirenen. Lenz stand auf, drehte sich um und blickte zu Winterschied . »Kommen Sie, ich helfe Ihnen hoch.«
Der Zeitungsverkäufer antwortete nicht.
»Herr Winterschied ?«
Winterschied schaute den Kommissar zitternd an. Offenbar wollte er etwas sagen, brachte jedoch
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