Eiszeit
Der ehemalige Fußballprofi des Kasseler Sportvereins aus den 80er-Jahren, mittlerweile 30 Kilo zu schwer geworden, stürmte mit hochrotem Kopf ins Zimmer und grinste feist wie immer. Der allseits beliebte Kollege unterhielt noch immer gute Verbindungen zu seinem alten Verein und war ein zuverlässiger Lieferant von Freikarten für die nicht immer attraktiven Spiele des Vereins.
»Hallo, Jungs vom Mord und Totschlag«, begrüßte er die beiden. »Wie ist es immer so?«
Hain deutete auf Lenz. »Mein Boss fährt heute seine letzte Schicht, bevor er für drei Wochen in Urlaub geht und mich mit den Strolchen dieser Welt allein lässt.«
Lehmann reichte dem Kollegen die Hand. »Glückwunsch, Paul. Ich hatte meinen Jahresurlaub schon im Februar. Dafür war ich fünf Wochen in Australien. Ohne Ende geil, sage ich euch. Wo willst du denn hin?«
»Keine Ahnung. Irgendwo ans Meer. Ich bin da nicht so wählerisch.«
»Schön. Aber fahr nicht ans Mittelmeer, das hat keinen Saft. Lieber an den Atlantik, da bewegt sich wenigstens was.«
Lenz zog seine Hand zurück und machte eine zustimmende Geste. »Gute Idee, ich werde darüber nachdenken.«
»Und bevor du mich auch noch über meine Urlaubspläne ausfragst«, mischte Hain sich ein, »erzähl uns lieber, was dich in unsere heiligen Hallen geführt hat.«
Lehmann deutete auf einen Stuhl. »Kann ich mich setzen? Es dauert vielleicht einen Moment und meine Knie sind mal wieder völlig entzündet.«
Lenz schob ihm den Stuhl unter den Hintern und setzte sich ebenfalls.
»Also. Die Geschichte, wegen der ich hier bin, ist ziemlich mysteriös. Heute Morgen um Viertel vor sieben sind wir von den uniformierten Kollegen ins Krankenhaus gerufen worden. Dort haben wir eine Frau Lappert kennengelernt , Veronika Lappert , die in der vergangenen Nacht zusammen mit ihrem Mann überfallen wurde. Die Täter, angeblich zwei, kamen um Mitternacht, haben die beiden gefesselt, geknebelt und angeblich ausgeraubt.«
»Was meinst du mit angeblich?«, wollte Hain wissen.
Lehmann verzog das Gesicht. »Angeblich heißt, dass sich die Täter nach Angaben der Frau mit einer Bargeldsumme von 400 Euro zufriedengegeben haben. Wir sind mit der Spurensicherung im Haus gewesen und haben nichts entdeckt, was auf eine Durchsuchung schließen ließe.«
»Vielleicht wollen die beiden ihre Versicherung übers Ohr hauen?«, gab Lenz zu bedenken.
»Nein, das ist es ja. Angeblich sind sie gar nicht versichert. Und bevor ich zur eigentlichen Merkwürdigkeit komme, gibt es noch eine weitere Ungereimtheit: Die Spurensicherung ist nämlich davon überzeugt, dass es mindestens drei Täter gewesen sein müssen, sehr wahrscheinlich sogar vier. Die Abdrücke im Schlafzimmer sind ziemlich eindeutig.«
Lenz dachte einen Moment nach. »Und was meinst du, wie sich die Geschichte wirklich abgespielt hat?«
»Das weiß ich nicht. Was ich aber sicher weiß, ist die Tatsache, dass dieser Lappert von den Tätern tätowiert wurde.«
»Wie jetzt, tätowiert?«, fragte Hain irritiert.
»Wie ich es sage. Die haben ihn tätowiert, und zwar nicht an den Armen oder den Beinen, sondern mitten im Gesicht.«
Er deutete auf seine Stirn und fuhr mit dem Zeigefinger in Richtung seines Kinns. »Ungefähr von hier bis hier.«
Lenz und Hain sahen sich angewidert an. »Wer macht denn so was?«
»Tja«, gab Lehmann zurück, »angeblich, so sagt es zumindest die Frau, seien es Rumänen gewesen.«
»Was sind denn das für Leute? Das klingt ja wie ein Kapitel aus einem ganz schlechten Mafiafilm.«
»Siehst du, das hab ich mich auch gefragt. Und die Antwort passt gar nicht zu dem, was man so vermuten könnte. Heinrich Lappert ist ein angesehener Architekt um die 60, seine Frau macht die Buchhaltung. Die beiden betreiben ein Büro am Brasselsberg , direkt neben dem Wohnhaus, in dem dieser dubiose Überfall stattgefunden haben soll.«
»Und wenn das alles nur ein peinliches Missverständnis ist?«, gab Hain zu bedenken, »und die beiden in irgendwas reingeraten sind, mit dem sie eigentlich gar nichts zu tun haben?«
»Warum sollten sie dann lügen? Nein, das glaube ich nicht. Und dann gibt es noch einen Grund, warum ich ausgerechnet zu euch komme.«
»Nun lass dich nicht so feiern, Lemmi . Die Zeiten sind lange vorbei.«
Lehmann sah an sich herunter, wo der Bauch aus der Hose quoll. »Das wird mir jeden Tag schmerzlicher bewusst, Jungs. Und zu Hause ist das auch immer öfter ein Thema. Irgendwie schafft es meine Helga, nie zuzunehmen.
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