Eiszeit
Aquarium an der rechten Wand. Lenz folgte ihm.
»Frau Lappert , hier ist noch einmal die Polizei!«, rief er laut.
Sie sahen sich das untere Stockwerk an. Überall waren Überreste der Arbeit der Spurensicherung zu erkennen. Dann stiegen sie die Treppe ins Obergeschoss hinauf und riefen wieder nach der Frau, doch die Reaktion blieb die gleiche. Es gab keine. Ein Zimmer diente offensichtlich als Gästezimmer, das andere auf dem kleinen Flur war das Nähzimmer der Frau. Auch im Badezimmer, das sie als Nächstes betraten, hatte die Spurensicherung gewirbelt. Überall waren Fingerabdrücke sichtbar gemacht worden. Dann blieb noch eine weitere Tür. Hain klopfte laut und rief den Namen der Frau. »Hier ist noch einmal die Polizei. Bitte erschrecken Sie nicht, wir haben noch ein paar Fragen an Sie.«
»Und wenn sie ein starkes Schlafmittel genommen hat?«, gab Lenz leise zu bedenken.
»Das müsste eine ausgewachsene Narkose sein, so wie wir hier rumbrüllen. Also mach die Tür auf.«
Der Hauptkommissar drückte vorsichtig die Klinke herunter, schob die Tür langsam ins Zimmer und spähte hinein.
25
Waldemar Sjomin kauerte sich noch ein wenig tiefer unter die Kellertreppe in dem modrig riechenden Haus. Die Haustür war, wie wohl immer, nur angelehnt, was ihn dazu bewogen hatte, im Hausflur zu warten. Er war sich nicht sicher gewesen, ob er das richtige Haus gefunden hatte, bis er den Namen am Klingelbrett gelesen hatte, den er suchte.
Seit vier Stunden verkroch er sich nun in seinem engen Versteck und wartete. Wartete darauf, dass der Mann, dem er vertrauen wollte, heimkommen würde. Eine Dreiviertelstunde später war es so weit. Heinz Winterschied betrat mit einer Ladung Zeitungen auf dem Arm den dunklen Flur, kontrollierte seinen Briefkasten und ging zur Treppe, unter der Sjomin saß. Der Russe zischte leise, doch Winterschied hörte ihn nicht. Ruckartig sprang der Ingenieur vergangener Tage auf und kippte dabei zur Seite, weil sein eingeschlafenes rechtes Bein sein Gewicht nicht tragen konnte. Winterschied stieß einen lauten Schrei aus, ließ den Stapel Zeitungen fallen und riss die Arme vors Gesicht.
»Bitte, bitte tun Sie mir nichts!«
Sjomin rappelte sich hoch, ging humpelnd auf den Zeitungsverkäufer zu und hielt ihm die Hand vor den Mund.
» Pssst «, machte er beruhigend. » Pssst , Ruhe!«
Winterschied nahm die Arme herunter und sah dem Russen mit aufgerissenen Augen ins Gesicht.
»Waldemar, bist du wahnsinnig? Ich dachte, die Typen, die hinter dir her sind, lauern mir auf.«
»Nein. Nur ich.« Er bückte sich, sammelte die Zeitungen vom Boden auf und drängte Winterschied die Treppe hinauf. »Los, in Wohnung.«
Wohnung war eine schmeichelhafte Bezeichnung für den Raum mit Kochnische, den der Zeitungsverkäufer bewohnte. Aber er konnte sich durch seinen Job die Miete leisten und hatte immer ein mehr oder minder warmes Dach über dem Kopf. Nun schob er den Russen durch die Feuerschutztür direkt ins Zimmer.
»Rein mit dir. Das hätte ich ja nicht erwartet, dass du mir deine Aufwartung machst.«
Er schloss die Tür sorgfältig ab, schaltete das Licht ein, weil trotz des Sommertages wenig Helligkeit ins Innere fiel, und lächelte den Russen an, der ihn offenbar nicht verstanden hatte.
»Ich dachte, du wärst schon auf dem Weg nach Jena oder Leipzig, mein Freund.« Dem konnte der Russe folgen.
»Nein, jetzt hier. Muss dir sprechen.«
»Nun, das haste ja geschafft, ohne mir zu einem Herzinfarkt zu verhelfen, auch wenns knapp war. Jetzt setz dich erst mal. Willste was trinken?«
»Wasser«, erwiderte Sjomin .
»Ich hätte auch was mit Geschmack«, bot Winterschied ihm an und griff nach einer Flasche billigen Wodkas, doch der Russe schüttelte den Kopf. »Wasser.«
»Wie du willst. Ist wahrscheinlich auch besser für dich, wenn du einen klaren Kopf behältst, sonst geht es dir wie dem Österreicher.«
»Was mit Österreicher?«
Winterschied wurde traurig.
»Ach so, das weißt du noch gar nicht. Der Österreicher ist tot. Kaputt, verstehst du?«
»Warum kaputt?«, fragte der Russe zurück.
Winterschied strich sich mit der Hand durch die fettigen Haare. »Das willst du wahrscheinlich gar nicht wissen. Und ich werde es dir bestimmt nicht erzählen«, murmelte er.
»Was passiert mit Österreicher?«
Winterschied griff sich ans Herz und verdrehte dabei das Gesicht. »Schwache Pumpe. Pumpe kaputt.«
»Pumpe kaputt?«
»Ja, Pumpe kaputt.«
Irgendwie, dachte Winterschied , ist das ja nicht mal
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