Eiszeit
er sich kurz frisch gemacht hatte, packte er seine Sachen zusammen, schnallte sich an und betrachtete die Stadt von oben. Nachdem der Flieger seine Parkposition erreicht und der Kapitän sich in holprigem Englisch von den Passagieren verabschiedet hatte, strebte Mälzer dem Ausgang zu. Mit schnellen Schritten verließ er das Flugzeug, betrat das Terminal und nahm eine halbe Stunde später seine Frau in die Arme.
»Mein Gott, Jochen, bin ich froh, dass du noch einen Platz in der Maschine gekriegt hast. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was in Kassel alles los gewesen ist. Die Sache mit den Italienern …« Er legte einen Zeigefinger auf ihren Mund und lächelte sie an.
»Nicht hier, Molina . Lass uns woanders reden, bitte.«
Sie wirkte verwirrt, schaute von links nach rechts. »Aber hier sind wir doch …«
Wieder unterbrach er sie. »Nirgendwo sind wir irgendwas. Und nun lass uns gehen, ich brauche etwas zu essen.«
*
Molina Mälzer zog angewidert den Strafzettel hinter dem Scheibenwischer des englischen Luxuscabriolets heraus und warf ihn achtlos zu Boden. »Jedes Mal das Gleiche«, zischte sie. »Ich möchte einmal von hier wegfahren, ohne ein Ticket kassiert zu haben.«
Ihr Mann lud seine beiden Lederkoffer in den Fond, streckte sich und stieg auf der Beifahrerseite ein. Sie nahm hinter dem Lenkrad Platz, fädelte sich in den Verkehr ein, der auf Frankfurt zurollte, und sah ihn an.
»Also, wo fahren wir hin?«
»Kannst du dich erinnern, wo wir letztes Jahr nach dem unglaublich langweiligen Empfang beim Ministerpräsidenten gelandet sind? Dort haben wir erstklassig gegessen.«
»Das ist nicht dein Ernst? In diese …«
»Wenn du weißt, was ich meine, reicht das«, unterbrach er sie erneut. »Und ich glaube, du hast mich ganz genau verstanden.«
Molina Mälzer nickte, schnaufte durch und gab Gas.
*
Eine knappe halbe Stunde später hatten sie Gießen erreicht. Sie parkten an der Post, gingen ein paar Meter stadtauswärts und betraten dann einen griechischen Imbiss. Dort war um diese Zeit wenig los. Zwei Griechen standen hinter der Theke, an einem Tisch saß ein Studentenpaar, hielt Händchen und schaute dem einen Griechen beim Zubereiten ihrer Mahlzeit zu. Die anderen Plätze waren leer. Jochen Mälzer steuerte einen Tisch in der Ecke, weit weg von der Theke, an, half seiner Frau aus der Jacke und setzte sich. Nach kurzem Studium der Speisenkarte bestellten sie einen Salat, eine Fleischplatte und zwei Bitter Lemon .
»Schön, dass du dich an dieses Etablissement erinnert hast«, giftete sie. »Dadurch bleibt mir wenigstens ein gutes Essen bei Emilio in Kassel erspart.«
Mälzer sah seine Frau freundlich an. »Jetzt krieg dich wieder ein, Molina . Es ist mir wichtig gewesen, zuerst in einer absolut sicheren Umgebung mit dir zu sprechen. Nach dem, was in Kassel alles passiert ist, werden wir in der nächsten Zeit weder zu Hause noch im Büro oder in einem der Wagen miteinander Dinge besprechen, die nicht für andere Ohren bestimmt sind.«
»Du bist doch paranoid.«
»Vielleicht. Aber lieber paranoid als im Gefängnis. Ich habe alles im Internet verfolgt, was seit meinem Abflug passiert ist, und das war nicht wenig. Wir sitzen, um es drastisch auszudrücken, ziemlich in der Scheiße. Und wir wollen der Polizei nicht noch die Arbeit erleichtern.«
Der Kellner brachte die Getränke, legte zwei Bestecke auf dem Tisch ab und zog sich zurück.
»Es kann gut sein«, fuhr Mälzer fort, »dass wir abgehört werden, der Gedanke ist in der heutigen Zeit nicht abwegig. Deshalb sind wir in Zukunft vorsichtiger, bis sich der Pulverdampf gelegt hat. Wenn das Center erst einmal steht, kräht kein Hahn mehr nach diesen Italienern.«
»Oder diesem Penner. Oder den Lapperts .« Sie griff nach seiner Hand und legte ihre hinein. »Ich weiß nicht, ob mir das nicht alles über den Kopf wächst, Jochen.«
Dann erzählte sie ihm von der Seilbahnfahrt mit dem Mann am Edersee und seiner unverhohlenen Drohung.
»Was bildet sich dieses Arschloch ein, mir so etwas zu erzählen? Am liebsten hätte ich ihm sonst wohin getreten.«
»Es tut mir leid, dass das so gelaufen ist. Sobald wir in Kassel sind, rede ich mit ihm und pfeife ihn zurück.«
Sie schluckte. »Und wenn er sich nicht zurückpfeifen lässt?«
»Glaub mir, das wird er. Seine Auftraggeber haben mittlerweile so viel Kapital in unser Projekt gesteckt, dass sie unmöglich aussteigen können. Und ohne uns ist ihr Geld nichts wert, weil das
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