Eiszeit
anfangen zu lesen, reichte den Stapel jedoch sofort weiter zu seinem Kollegen.
»Na, Brille vergessen?«, feixte Hain und hielt genüsslich den ersten A4-Bogen in die Höhe.
»Was ist es?«, raunzte Lenz ihn an.
»Moment, großer Buana . So schnell bin ich auch wieder nicht. Das hier ist …« Er machte eine Pause und griff zum nächsten Blatt. »Das ist …«
»Thilo, mach mich nicht wahnsinnig. Was …?«
» Pssst , Paul. Lass uns abhauen, das Licht ist wirklich schlecht hier.«
Damit stürmte er die Treppen hinunter. Der völlig verdutzte Lenz folgte ihm mit Respektsabstand. Als der Hauptkommissar durch die Haustür trat und wegen der gleißenden Sonne die Hand vor die Augen hielt, war Hain schon bei seinem Wagen und am Einsteigen.
»Was ist …?«
»Komm, steig ein«, wurde er erneut von seinem Kollegen unterbrochen. Drei Ecken weiter bog Hain auf den Parkplatz eines Lebensmittelmarktes ab, stellte den Mazda in die hinterste Ecke und schaltete den Motor ab.
»Das, was wir hier haben, ist garantiert nicht für fremde Ohren bestimmt, Paul«, erklärte er und griff wieder nach dem Stapel Papiere.
»Und für welche Ohren ist es bestimmt?«
»Warte einen Moment, bitte.«
Hain blätterte die Papiere flüchtig durch, wobei seine Augen immer größer wurden. Er pfiff beeindruckt durch die Zähne.
» Wow , was wir hier haben, ist etwas über Mälzer und seine Bau-Consulting . Hier sind Kopien von Bauplänen, Kontoauszügen und Bewilligungsbescheiden für Subventionen sowohl von der Bundesregierung, dem Land Hessen als auch der EU .« Wieder hob er die Hand, als wolle er um eine Gesprächspause bitten.
»Und hier«, fuhr er fort, »geht es um die Herzogsgalerie. Dafür hat er, warte, Subventionen für 23.500 Quadratmeter bewilligt bekommen, dabei bringt es der gesamte Bau nicht einmal auf 16.500 Quadratmeter. Das gibts ja gar nicht.«
Lenz griff nach ein paar der Unterlagen.
»Willst du damit sagen, das hier ist ein Dossier über Mälzer? Ein belastendes am Ende gar?«
»Wie es aussieht, ja«, erwiderte der Oberkommissar stockend. »Und es geht noch weiter. Hier, wo die Zahlen mit dem gelben Edding gekennzeichnet sind, hat er wohl Steuern nicht korrekt bezahlt. So ganz verstehe ich das alles nicht, aber es sieht tatsächlich so aus, als ob wir den Kerl mit diesen Unterlagen an den Eiern kriegen könnten.«
Lenz sah ihn skeptisch an. »Moment mal, Thilo, irgendwie komme ich da nicht ganz mit. Wir kommen gerade aus der Wohnung eines etwas sonderbaren Menschen, der von einem Kumpel ein paar Kopien in die Hände gekriegt hat, die der leider kurz danach abgeknallte Besitzer einer Eisdiele dem vor die Füße geworfen haben soll. Gehts noch?«
Hain hörte ihm nur mit einem Ohr zu, weil er noch immer mit der Sichtung des Materials beschäftigt war.
»Hm«, murmelte er.
»Und wie ist Iannone eigentlich an das Zeug da gekommen? Hat ihm das eine Brieftaube vorbeigebracht?«
»Ich weiß es nicht, Paul. Und wenn du nicht glaubst, dass …«
Er wurde vom Klingeln von Lenz’ Telefon abgewürgt. Der Hauptkommissar meldete sich.
»Hallo, Herr Lenz, hier ist Lars Gruber. Erinnern Sie sich an mich?«
»Klar, Herr Gruber, erinnere ich mich an Sie. Was gibts denn, ich hab leider ganz wenig Zeit.«
»Ich bräuchte Ihre Hilfe, Herr Lenz. Ich bin in der Wohnung meiner Freundin, wo sie eigentlich auch sein sollte, aber sie ist nicht hier.«
Lenz glaubte einen Moment, er müsse aus der Hose springen.
»Ja, Herr Gruber, ich bedaure, das zu hören, aber wie kann ich Ihnen denn bei diesem Problem behilflich sein?«
»Na ja, im Flur ist ziemlich viel Blut, und wenn ich mich nicht täusche, steht der Wagen ihrer Chefin vor der Tür, mit offenem Dach und nicht abgeschlossen. Das ist alles sehr merkwürdig.«
»Wie meinen Sie das, im Flur ist ziemlich viel Blut? Gab es eine gewaltsame Auseinandersetzung?«
»Das weiß ich nicht. Es sieht so aus, als sei jemand hier gewesen. Und dann die Sache mit dem Auto. Ich …«
Nun wurde es Lenz zu bunt. »Herr Gruber, ich stecke mitten in einem ziemlich verzwickten Fall, wie Sie sicher noch wissen. Es gibt wahrscheinlich eine ganz harmlose Erklärung für das Blut im Flur. Vielleicht ist Ihre Freundin einfach mit ihrer Chefin ein bisschen spazieren gegangen. Wer ist denn die Chefin?«
» Molina Mälzer.«
Lenz brauchte eine komplette Sekunde, bis Grubers Worte in seinem Gehirn die richtigen Windungen erreicht hatten. Dann reagierte er blitzschnell.
»Wo sind Sie?«, rief er
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