Ekel / Leichensache Kollbeck
volkseigenen Umzugsbetrieb dient zwar durchaus wohltätigen Zwecken, hauptsächlich aber bestreitet er davon den Lebensunterhalt für sich, seine Frau und das Kind. Christine von Canee führt eine miserable Ehe. Niemals hätte sie heiraten dürfen, vor allem nicht wegen des Kindes. Als sie Achim, der vier Jahre älter ist, vor gut drei Jahren kennenlernte, hieß sie einfach nur Berger. In den ersten Wochen schien die Welt in Ordnung zu sein. Für Achim hatten sich kurz zuvor die Knasttore geöffnet: Einbruchsdiebstahl und Körperverletzung waren die Vergehen, derentwegen er ein reichliches Jahr in Askese leben mußte. Sie begegneten sich beim Tanz im Gesellschaftshaus Grünau. Er gefiel ihr: Ein Kerl wie ein Baum, mit Riesenmuskeln und trotzdem zärtlich. Als Möbelhucker verdiente er ein gutes Geld. Zunächst erschrak sie vor seiner Biographie, aus der er keinen Hehl machte. Doch seine heitere Art und die vielen guten Vorsätze, das Leben zu ändern und mit ihr eine Familie zu gründen, stimmten sie versöhnlich. Bald wurde sie schwanger. Die beiden zogen zusammen und heirateten. Silvester 1976, Christine stand kurz vor der Entbindung und Achim hatte viel Bier in sich hineingeschüttet, kam es zu den ersten Gewalttätigkeiten. Sie erkannte ihn nicht wieder: Ein banaler Streit brachte ihn so in Rage, daß er nicht nur Stühle und Geschirr demolierte, sondern die hochschwangere Gattin mehrmals ins Gesicht schlug. Sie war entsetzt und kündigte die Trennung von ihm an. Aber nüchtern wurde der starke Mann wieder butterweich: „Tina, Tina, was habe ich nur getan!“ jammerte er und warb um ihre Gunst. Und sie verzieh ihm. Bald darauf schenkte sie ihm einen Sohn. Sie einigten sich auf den Namen Olaf. Der junge Vater war außer sich vor Freude. Statt Blumen schenkte er Christine einen kleinen Hund. Es war ein niedlicher weißer Welpe mit schwarzem Köpfchen: eine sympathische Straßenmischung. Sie nahm ihr Babyjahr, konnte so die Kantine im Kabelwerk, in der sie als Küchenkraft arbeitete, für viele Monate vergessen und sich ganz dem Kind, dem kleinen Hund und dem großen Mann widmen.
Noch ehe der Sommer begann, war die trügerische Idylle dahin, denn immer öfter kam Achim betrunken nach Hause. Alle guten Vorsätze für ein harmonisches Familienleben zerrannen. Statt dessen nahmen die körperlichen Attacken gegen die Gattin zu. Sie konnte ihm kaum mehr etwas rechtmachen. Die Wohnung wurde für ihn zur Kampfstätte, sich auszutoben, körperlich und sexuell. Sein Jähzorn machte ihn so unberechenbar, daß Christine ihn ohne äußeren Widerstand gewähren ließ. Innerlich aber entfernte sie sich von ihm. Ihre ganze Gefühlswelt konzentrierte sich auf Sohn und Hund. Doch die Angst vor Achim lähmte auch ihre Energie, die Beziehung zu ihm zu lösen.
So vergehen die Monate. Achim verbraucht inzwischen soviel Geld für sich, daß die Haushaltskasse ständig leer ist. Jede Mark muß sich Christine erbetteln. Die Tage, an denen sie die Pakete von der Post abholt, die Achims Großmutter aus dem Westen schickt, empfindet sie als Höhepunkte. Dann sind die Sorgen um Kaffee, Zigaretten, Seife und Waschpulver für einige Zeit vergessen. Aber ihr psychischer Zustand wird immer labiler. Die ständige Geldnot, die Erfüllung der mütterlichen Pflichten, die Arbeiten im Haushalt und die täglichen Erwartungsängste, in welchem Zustand der Gatte wohl heimkehren wird, zermürben ihre Seele. Selbst um den Hund kümmert sich Achim schon lange nicht mehr. Christine fühlt sich überfordert. Sie beginnt, sich und die Wohnung zu vernachlässigen, konzentriert ihre Aufmerksamkeit nur noch auf das Kind und den Hund. Das wiederum stachelt Achims Aggressionen an. Aber meist entzieht er sich dem häuslichen Chaos durch ausgedehnte Kneipengänge oder Frauenbekanntschaften. Langsam schließt sich der Teufelskreis um Christine.
Sie hält dieses Dasein nicht mehr für lebenswert. Wenn das Kind nicht wäre, hätte sie schon längst Schluß gemacht, gesteht sie einer Freundin. Innere Einsamkeit und negative Lebensbilanz wühlen in ihrem Innern. Langsam glimmen die ersten diffusen Gedanken an einen Selbstmord. Die Situation verschärft sich im Sommer 1978, als Christine in der Kaufhalle beobachtet wird, wie sie heimlich eine Flasche Weinbrand in ihrer Tasche verschwinden läßt, anstatt sie in den Einkaufskorb zu legen. An der Kasse kommt es dann zum Eklat. Von nun an gesellt sich zu allem familiären Fiasko noch die Scham, eine Diebin zu sein. Ihr
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