Ekel / Leichensache Kollbeck
Leichenöffnungsbericht über den unbekannten Toten am Barleber See. Er notiert sich wichtige Ergebnisse der Obduktion, die er für die Planung der nächsten Ermittlungen für nötig hält. Dann telefoniert er mit einem seiner Mitstreiter: „Hotte, ich brauche aus der Ablage alle ungeklärten Vorgänge von vermißten Männern der letzten zwölf Monate aus dem ganzen Bezirk, möglichst mit Zahnstatus. Und denke dran, auch die, die wegen Republikflucht eingestellt wurden!“
Noch am Vormittag liegt ein Stapel der angeforderten Akten auf seinem Schreibtisch. Er beginnt mit einer groben Sortierung: Jene werden beiseite gelegt, in denen die Männer wesentlich jünger oder älter als 40 Jahre waren. Den Rest prüft er mit der ihm eigenen Sorgfalt. Blatt für Blatt vergleicht er die Daten über die Personen und die Zeiten ihres Vermißtseins mit den bisherigen Ermittlungsergebnissen. Immer wieder legt er dann eine neue Akte zu den bereits ausgesonderten. Bis er plötzlich innehält. Er traut seinen Augen kaum. Hält er doch eine Akte in den Händen, die ihn seit Monaten bereits beschäftigt und deretwegen er sich bei seinem Chef einen weiteren Minuspunkt geholt hatte.
Seine bisherige Gelassenheit ist gewichen, und sein Jagdfieber entfacht. Er liest, blättert, liest, blättert. Dann bricht es aus ihm heraus: „Das gibt’s doch nicht!“
Er ergreift das Telefon und wählt: „Hotte, komm mal gleich rüber zu mir!“
Und Hotte kommt. Er ist der 1. Offizier in der Kommission, etwas über 40, mittelgroß, breitschultrig mit Bauchansatz, dienstälter als Förster, eine Spürnase ohne akademische Bildung, doch deshalb nicht weniger wichtig, ein Mann mit praktischer Intelligenz für die Polizeiarbeit. Schon beim Betreten des Zimmers sprudelt es aus Försters Mund: „Guck dir das hier an! Das hab ich mir doch gleich gedacht. – Diese Idioten! Und der Alte spielt noch mit!“
Hotte ist verdutzt, er versteht seinen Chef nicht. Erst als er einen Blick in die Akte wirft, die Förster ihm reicht, geht ihm ein Licht auf: Es ist die Vermißtensache Einbecker, die Anfang Juni wegen Verdachts des ungesetzlichen Grenzübertritts abgelegt wurde. Einbecker ist seit Anfang März vermißt, seine Frau hatte die Anzeige erstattet.
Und während Hotte die Akte überfliegt, bemerkt Förster beiläufig: „Unser Beinloser vom Barleber See!“
Nun setzt sich Hotte. Interessiert beginnt er, den Vorgang gewissenhaft zu lesen. Förster sieht ihm einen langen Moment wortlos zu. Dann ergreift er das Telefon und drückt einen Knopf: „Alle Mann an Deck! In zehn Minuten bei mir! Ruft eure Frauen an, es wird ’ne lange Nacht!“ Das ist alles, was er für den Mann am anderen Ende der Leitung an Überraschung bereithält.
Wenig später sitzen die Kriminalisten der MUK bei Förster und schmieden den Schlachtplan für das weitere taktische Vorgehen. Die Angaben zur Personenbeschreibung des Einbecker in der Vermißtenanzeige sind nahezu identisch mit denen des Toten am Barleber See. Das Abtrennen der Extremitäten des Opfers und die Art der Leichenbeseitigung waren ein aus der Erfahrung geborenes wichtiges Indiz dafür, daß zwischen dem Opfer und seinem Mörder eine enge Beziehung bestanden haben muß.
Eine lebhafte Diskussion entflammt. Jeder darf seine Versionen vorbringen und begründen, bis Förster das Gersprächsgewirr unterbricht: „Schluß mit der Spinnstunde! Ich fasse zusammen: Unser Mann ist Opfer einer Eliminierungstötung. Der Täter dürfte – so unsere Hauptverdachtsrichtung – im sozialen Nahraum des Opfers zu finden sein. Konzentrieren wir uns also auf Freunde, Arbeitskollegen, die Ehefrau, mögliche Nebenbuhler! Diese Version gilt solange, bis wir die Grenze ihrer Verifizierung erreicht haben. Ich halte einen Fremdtäter für wenig wahrscheinlich!“
Die Mitstreiter wissen, worauf es jetzt ankommt. Was nun folgt, ist Routine, vielmals praktiziert: Ermittlungsaufträge werden formuliert, kriminaltechnische Untersuchungen geplant, Vernehmer in Bereitschaft gehalten. Längst ist bekannt, daß Rudolf Einbecker in Klötze, nahe seiner Arbeitsstelle, dem Obstbau Olvenstedt, eine Nebenwohnung unterhalten hatte und sich nur an den Wochenenden in Wolmirstedt bei seiner Frau aufhielt. Aber niemals wurde dort nach Spuren gesucht. Könnte dort nicht der Tatort sein? Auch gilt es, Frau Einbecker erneut zu befragen, insbesondere zum sozialen Umfeld ihres Mannes. Doch besondere Vorsicht ist geboten: Nicht nur der Tatort, sondern vor allem
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