El Camino Amable
Internet für Freitag gefunden hat, dürfte es heute locker haben. Ich bin lange am Überlegen, ob ich heute nur 20 Kilometer laufe oder doch 30 bis Castrojeriz. Als ich dann um zwölf die Albergue von Hontanas sehe, entscheide ich mich zu bleiben. Fünf Stunden Laufen am Tag ist für heute genug. Ich bin der erste Pilger und darf mir in der gemütlichen, sauberen Herberge mein Bett im 8er-Zimmer noch aussuchen. Ich nehme wie immer das am Fenster. Und nun die übliche Haushaltsroutine: Duschen, Aufräumen, Wäschewaschen, Ruhen, Lesen, Ruhen, Schreiben, Ruhen, Urlaub...
Ich bestelle erstmals das Pilgermenü, vielleicht bewirkt das ja auch noch eine zusätzliche Entwicklung in mir.
Genau genommen gibt es auch keine andere Chance, wenn ich etwas zu essen haben möchte. In diesem Ort gibt es überhaupt keine Möglichkeit, irgendetwas einzukaufen. Ich frage mich, wie die Einwohner dieses kleinen Dörfchens es schaffen, ihr tägliches Leben zu organisieren. Möglicherweise fährt hier ein Händler mit einem Verkaufswagen in regelmäßigen Abständen durch und bietet Lebensmittel und andere Lebensnotwendigkeiten an.
Es sieht auch nicht so aus, als ob dieser Flecken an ein öffentliches Nahverkehrsnetz angeschlossen ist. Man muss wahrscheinlich gut planen und organisieren können, um das tägliche Leben mit einer Familie zu regeln. Einmal mehr habe ich Achtung vor den Menschen hier am Camino, die in aller Gelassenheit und Freundlichkeit ihr Leben gestalten, und ich sehe daneben meinen Alltag zu Hause, der vollgestopft ist mit Terminen, nötigen und unnötigen Einkäufen und allerhand „Zerstreuungen“.
13. Tag
Hontanas—Boadilla del Camino
Ich wollte heute Morgen um 6 Uhr frühstücken, aber das Restaurant in der Albergue hatte noch zu. Ich bin dann einfach losgelaufen — ohne Tablette, weil ich die nicht auf nüchternen Magen nehme. Es war stockfinster, aber mich umgab klare, schöne Sommerluft und ich habe diverse Katzen, Kaninchen und Mäuse aufgestört. Als die Sonne aufging, kamen die Farben der Landschaft wunderschön zur Geltung. Ein Traum! Während ich laufe, spüre ich, dass ich sensibler für Geräusche und Düfte werde.
Der kühle Duft eines Getreidefeldes am Morgen ist mir vorher nie aufgefallen, obwohl ich viele Jahre in einem Dorf gelebt habe. Auch nicht die Beobachtung, dass dasselbe Getreide am Mittag ganz anders duftet. Die Hecken und Wegränder duften wiederum völlig anders und manchmal bleibe ich stehen, weil ich den intensiven Duft von Geißblatt wahrnehme, die Pflanze aber nicht sehe.
Geräusche beim Wandern machen mich neugierig, wenn sie aus der Natur kommen. Ich höre gern auf die Vögel und habe manchmal den Eindruck, als würde mich ein Vogel begleiten, immer höre ich seinen Ruf links vor mir. Doch wenn ich an der Straße laufe und ohne Unterbrechung Autos an mir vorbeirasen höre, dann empfinde ich das als umweltverschmutzenden Lärm und bin beim nächsten Abzweig gerne bereit, eine Alternative zu laufen, auch wenn sie zwei Kilometer länger ist, wenn ich dafür nicht an einer Straße entlanggehen muss. (Das nehme ich mir jedenfalls vor!)
Ich habe die ersten 10 Kilometer schnell geschafft und war schon nach zwei Stunden in Castrojeriz. Dort habe ich gut gefrühstückt, die Tablette eingeworfen und dann ging’s weiter. Der Anstieg hinter Castrojeriz war echt steil: Es waren fast zwei Kilometer schräg bergauf! Aber inzwischen habe ich doch schon etwas Kondition und auch der Rucksack kommt mir nicht mehr so schwer vor.
Es war ein guter Lauftag, obwohl der Fuß geschwollen ist und wehtut, aber die Tablette hilft wirklich gut. Nach lächerlichen sieben Stunden und 30 Kilometern komme ich in Boadilla del Camino an. Es ist unbeschreiblich hier, wie eine Oase in der Wüste und gar nicht pilgermäßig. Die Herberge hat einen wunderschönen Hof, einen Bungalow, in dem sich die Schlafräume befinden, eine gepflegte Rasenfläche, einen kleinen Swimmingpool, ein Restaurant unter Weinreben — es kommt mir vor wie Club-Urlaub! Ein entspannter, in seiner Routine schon fast langweiliger und wunderschöner Tag!
Der unangenehme Deutsche ist leider auch da. Er redet unaufhörlich, fast kein Englisch, auch kein Spanisch, und tönt nur dummes Zeug: „Ich esse kein fertiges Menü — ich esse nur das, was ich will! Das werden die hier ja wohl hinkriegen, dafür sind die ja da. Schließlich will ich für mein gutes Geld etwas Ordentliches bekommen...“ Es ist nur peinlich, was er von sich gibt
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