El Camino Amable
und schon ganz in Ordnung, dass ihn nicht alle verstehen.
14. Tag
Boadilla del Camino—Carrión
Inzwischen kann ich meinen Rucksack leicht im Dunkeln packen. Jedes Utensil hat seinen Platz: Die winzige Taschenlampe kommt oben in die innere Rucksackklappe, den Beutel für den Schlafsack finde ich immer in der unteren Außentasche. Das Packen geht schnell und leise und die Badelatschen verstaue ich erst draußen vor der Tür in der Plastiktüte, um möglichst wenig Geräusche zu machen. Niemand, der’s nicht selbst erlebt hat, kann sich im Mindesten vorstellen, welch einen unglaublichen Lärm das Rascheln einer Plastiktüte verursacht!
Um 6 Uhr laufe ich los. Die Luft ist herrlich, die Sterne glitzern — ich weiß nur leider nicht, wo der Weg entlanggeht.
Also biege ich in diverse Straßen ein und laufe die verschiedenen Möglichkeiten erst einmal ab. Es ist zwanzig nach sechs, bis ich auf dem richtigen Weg bin. Ich scheuche wieder diverse Mäuse und Kaninchen auf. Bald führt der Weg am kastilischen Kanal entlang. Er verbindet Alar del Rey mit Valladolid und ist 160 Kilometer lang. Ich freue mich über diese Strecke. Man hört die Vögel, Wasser plätschert, die Sonne geht still und strahlend auf. Ab und zu muss ich stehen bleiben und horchen, denn meine Schritte sind viel zu laut, um diese lebendige Stille zu hören. Es ist wunderschön.
Bald bin ich in Frómista und schaue mir die Kirche San Martín an. Es ist noch zu früh, sie ist noch nicht auf, aber auch von außen ist sie mit unendlich fantasievoller Steinmetzarbeit gestaltet. Bestimmt steckt hinter den einzelnen sorgfältig gearbeiteten Köpfen von Menschen, Drachen und Dämonen, die sich am Dachrand um die Kirche ziehen, eine Aussage, vielleicht eine Geschichte.
Wenn ich doch die Bildersprache noch könnte! Schade, dass die Bedeutung so vieler Symbole und „Sinnbilder“ verloren geht. Ich fotografiere die Kirche im Morgenlicht, aber den wirklichen „Eindruck“ kann kein Foto „ausdrücken“. Im nächsten Dorf sind einige Frauen dabei, die Straße zu fegen. Es ist Erntezeit, alle Augenblicke fahren Trecker mit Anhängern voller Getreide vorbei, aber sie fegen und fegen und klauben jeden Halm von der Straße. Am Ausgang des Dorfes spricht eine Frau mich an, ob ich nicht die Kirche des Dorfes besichtigen will. Bedauernd hebe ich die Schultern, ich habe schon eine angesehen und will die im nächsten Dorf sehen und es wird langsam heiß. Ich gehe weiter. Eigentlich schade. Warum nehme ich die Einladung der Frau nicht an, die voller Stolz „ihre“ Kirche zeigen möchte?!
Die nächste Kirche, die ich mir anschauen will, befindet sich in Villalcázar de Sirga: Santa María la Blanca. Sie hat — wie alle hier — ein wunderschönes Portal und innen fällt mir einmal mehr die Größe des alabasternen Taufbeckens auf. Riesig — und welch eine ausgewogene Form.
Auch hier ist leise Musik zu hören. Der Eintritt kostet für Pilger 20 Cent - lächerlich! Inzwischen ist es draußen heiß geworden. Ich gönne mir ein Eis im Schatten und gehe anschließend weiter. Der Weg führt an der Nationalstraße N120 entlang, das ist nicht so schön, aber dafür ist die Gegend ganz flach, was das Laufen an sich durchaus erleichtert. Es wird immer heißer. Ich hoffe, dass ich bald an einen Brunnen komme, um meine Wasserflasche aufzufüllen, aber noch ist kein Dorf in Sicht. Doch dieses Mal habe ich Glück. Ich bekomme das nächste Dorf - Carrión de los Condes — und die nächste Herberge richtig „geschenkt“. Ich muss nicht ewig lange auf einen Kirchturm zulaufen, denn das Dorf liegt in einer kleinen Senke und ich stolpere fast unerwartet hinein. Das ist auch mal schön!
Ich habe beschlossen, in der dortigen Klosterherberge zu bleiben, denn die soll einen schönen Innenhof haben und eine Küche. Ersteres stimmt. Der Hof sieht wirklich nach geruhsamem Klosterleben aus. Doch die Küche ist eigentlich nur ein Raum mit Abwaschmöglichkeit und Mikrowelle. Besteck gibt es auch nicht. Dafür kriege ich ein Vierbettzimmer — und richtig abschließbare Klos und Duschen getrennt nach Männchen und Weibchen gibt’s hier auch.
Alles ist super sauber, sogar eine hauchdünne weiße eingeschweißte Unterlage bekomme ich ausgehändigt, damit der schlafende Pilger das Bett nicht berührt. Bin beeindruckt!
Der Hostalero zeigt mir, wie ich ins Haus mit den Schlafräumen komme. Ich muss vom Innenhof durch das vergitterte Fenster langen, da liegt ein Schlüssel auf
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