El Silbador
ja jeden Augenblick darauf gefaßt sein, daß man Rechenschaft über sein Benehmen forderte.Bis jetzt hatte er keine Ahnung, wie er sich herausreden sollte. Er hätte sich ohrfeigen können für seine Unbeherrschtheit. Vorsichtig schob er seinen rechten Fuß unter den Diwan, auf dem er saß, und drehte den Säbel so, daß er ihn mit einem Griff erreichen konnte.
Draußen im Innenhof marschierten in diesem Augenblick dreißig oder vierzig Janitscharen auf, die samt und sonders mit Gewehren ausgerüstet waren. Teufel, dachte Michel, das hat mir gerade noch gefehlt!
Aber die Janitscharen bildeten nur ein Spalier, und hindurch schritt Baba Ali, dessen weiße Sklavin vor ihm ging.
Einer Frau den Vortritt zu lassen, ist eine Unsitte, die den kleinsten Araber in Verruf bringen würde. Und wenn es gar eine Sklavin war, so war der Mann, der das tat, gesellschaftlich nicht tragbar.
Baba Ali durchbrach diese Regel ohne Bedenken. Und es schien, daß seine Soldaten größtes Verständnis dafür hatten.
Baba Ali besuchte einen Teufel. War es nicht das Gebot Allahs, sich vor dem Schejtan zu schützen? Wie man das tat, war seine eigene Sache. Eine Sklavin aber war auf alle Fälle der sicherste Schutzschild, denn wenn der Teufel Gefallen an ihr fand, so würde er sicherlich den Herrn verschonen.
Michel wurde es heiß und kalt, als er das Mädchen auf sich zukommen sah. Baba Ali jedoch
lächelte so freundlich, so gewinnend, wie es ihm nur möglich war.
Michel erhob sich nicht, sondern blieb sitzen.
»Was bringt Ihr Neues, Miß Hawbury?« fragte er.
Sie antwortete schnell:
»Man scheint Euch übernatürliche Kräfte zuzutrauen. Der Pascha möchte sich davon überzeugen. Laßt ihn den Eindruck behalten.« »Was hat er gesagt?« erkundigte sich Baba Ali.
»Er fragte, wie es dir gehe, und ich antwortete ihm, daß du Allah für jede Stunde preisest, die er dir schenkt.«
»Gut, gut«, anwortete der Janitscharenfürst.
Die draußen stehenden Soldaten lauschten gierig auf jedes Wort.
»Frage ihn, Isidolada, weshalb er mich vorhin bedroht und zwei meiner Wachen
niedergeschlagen hat.«
Isolde Hawbury übersetzte die Frage.
Michel fuhr sich nach der Stirn. Was sollte er jetzt antworten? Er sah die gespannten Gesichter der spalierbildenden Soldaten. Nur keine Blöße geben, dachte er.
Da hatte er einen glänzenden Einfall. Eigenartig, wie gute Einfälle immer zur richtigen Zeit von selber kommen, nachdem man sich vorher vergeblich das Hirn zermartert hat. Er machte ein erstauntes, ja, verblüfftes Gesicht, so daß keiner der Anwesenden seinen Gesichtsausdruck übersehen konnte.
»Wovon spricht der Daj?« fragte er mit größter Überraschung. Isolde übersetzte.
Jetzt war es an Baba Ali, verblüfft zu sein. Er ließ fragen, ob sich Michel denn nicht mehr daran erinnere, was er noch vor wenigen Minuten getan hatte.
»Ich habe die ganze Zeit über hier gesessen und diese Wasserpfeife geraucht«, erwiderte dieser erstaunt.
Der Daj sah sich um und blickte in die Gesichter seiner neugierigen Janitscharen.»Du hast hier
gesessen und geraucht? Und vorher?«
»Vorher? Vorher habe ich geschlafen, was sonst?«
»Und du hast die beiden Wachen nicht niedergeschlagen?«
»Ich? Welch eine Frage! Was für Wachen meinst du?«
»Zeige mir deine Hand. Du hattest einen Säbel an der Schneide gepackt, und deine Finger waren rot von Blut. Zeige mir deine Hand!«
Michel tat es. Da war nichts zu sehen. Nicht der kleinste Riß oder Schnitt. Der Daj trat einen Schritt zurück.
»Als du die Folterkammer verließest, gebrauchtest du einen arabischen Ausspruch. Kannst du ihn wiederholen?«
»Folterkammer? Arabischer Ausspruch? Ich verstehe dich nicht. Ich spreche kein Wort deiner verehrungswürdigen Muttersprache. Und deine Folterkammer habe ich noch nie gesehen.« Baba Ali wußte nicht, was er von der Sache halten sollte. Er stellte noch ein paar belanglose Fragen. Michel benutzte die Antwort, um der Dolmetscherin folgendes zu sagen: »Unterrichtet doch bitte meine Kameraden bei nächster Gelegenheit von diesen Vorgängen. Wenn der Daj sie verhört, so sollen sie behaupten, ich sei vom Bösen besessen und wäre dann nicht mehr bei mir selbst. Ich hätte die Macht, alles um mich herum zu vernichten, und so weiter. Die Freunde werden schon wissen, was ich meine. Seht auch zu, daß der Fürst nicht erfährt, daß Deste seine Sprache spricht, bevor dieser informiert ist.«
Isolde versprach, ihr Möglichstes zu tun, und erinnerte nochmals daran,
Weitere Kostenlose Bücher