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El Silbador

El Silbador

Titel: El Silbador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
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bewußtlose Daj sie daran hinderte. Michel wandte seinen Blick langsam den blutigen Leibern zu, die an den Haken hingen. Plötzlich weiteten sich seine Augen. Sein Verstand gewann die Oberhand, und seine Nerven beruhigten sich wieder.
    Das waren ja gar nicht seine Kameraden, die dort gefesselt hingen! Allerdings, Weiße schienen es zu sein. Aber weder Ojo noch Deste weder Jardin noch Porquez waren zu erkennen. Der Daj kam langsam wieder zu sich und begann nun, in Michels Faust zu zappeln. Dabei stieß er eine Flut von arabischen Verwünschungen aus.
    Michel wandte ihm langsam sein Gesicht zu, das jetzt wieder menschlich aussah. Er überlegte bereits, wie er sich selbst aus dieser heiklen Szene retten konnte. Sollte er aus seinem ganzen Auftreten einen Trick zu machen versuchen? Es schien die einzige Möglichkeit zu sein. Er blickte den Daj sprachlos lächelnd an, öffnete langsam seine Hand, die den Herrscher von Algier noch immer bei der Brust gepackt hielt, und ließ den erschöpften Fürsten los. Baba Ali taumelte zurück, direkt in die Arme seiner Janitscharen. Er war viel zu benommen, als daß er einen Befehl zur Festnahme des Unheimlichen, der ihn jetzt freundlich lächelnd anblickte, hätte geben können.
    Michel war klug genug, die Verblüffung des Daj auszunützen. Schnell suchte er in seinem Kopf ein paar arabische Brocken zusammen, die er sich während der letzten Tage angeeignet hatte. Das einzige, was ihm einfiel, war die berühmte Preisung Allahs in Verbindung mit dem Propheten, das »Amen« oder auch »Kyrie eleison« der Araber.
    »La ilaha ila Allahu wa Mohammad rasul al-mahdi«, murmelte er und machte zwei Schritte nach vorn.
    Der Daj, der einen neuerlichen Angriff vermutete, wich erschrocken zur Seite. Auch die Mauer der Janitscharen öffnete sich. Und unangefochten ging Michel durch die so entstandene Lücke. Seine Schritte waren gemessen wie die eines Marabuts. Nicht ein einziges Mal blickte er sich um. Unbeirrt schlenderte er durch die hallenden Säle, bis er seinen eigenen erreichte. Dort setzte er sich auf einen Diwan nieder, zündete sich in aller Ruhe eine Wasserpfeife an und begann zu rauchen.
    Den Säbel hatte er in einem unbewachten Augenblick unter der Ottomane verschwinden lassen.
    Die Janitscharen und Folterknechte erwachten aus ihrer Erstarrung, als der Pfeifer verschwunden war. Der Daj räusperte sich, sah seine tapferen Wächter an, wandte den Blick wieder ab und sagte in ungewohnt mildem Ton zu den Henkern:
    »Bindet diese Christenhunde los. Wir wissen ja jetzt, wo ihre Armee anmarschiert. Werft sie in den Keller und gebt ihnen zu essen.«
    Ohne sich um die Janitscharen zu kümmern, die erstaunt genug waren, daß der Daj nicht seine üblichen Verwünschungen ausstieß, ging dieser in seine Gemächer. Sogar die Türen mußte er sich selbst öffnen; denn es war kein einziger Leibwächter zu sehen.
    In seinem Privatgemach ließ er sich erschöpft auf seine Polster fallen und dachte eine Weile über den seltsamen Gesandten des abendländischen Königs nach. Was für ein Mensch war das? War das überhaupt ein Mensch? Er klatschte in die Hände. Hussejn trat ein.
    »Erkundige dich, wie sich diese ganze Szene entwickelt hat, und erstatte mir Bericht.«
    Hussejn verbeugte sich abermals.
    »Ich kenne die Vorgänge bereits, Sayd.«
    »Erzähle!«
    Der Leibsklave schilderte eingehend, was er von den in die Flucht geschlagenen Janitscharen erfahren hatte.
    Baba Ali hörte mit gemischten Gefühlen zu.
    »Dieser Mann muß die Kraft eines Bären und den Mut eines Löwen besitzen«, stellte er fest. »Verzeihe, Sayd«, sagte Hussejn, »seine Wächter behaupten, er sei kein Mensch, sondern der Schejtan in Menschengestalt. Allein sein gräßliches Pfeifen ist dazu angetan, Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen. Als er aber mit der bloßen Hand die Schneide des Säbels packte, war diese Hand rot wie Blut. Und dennoch ist er unverletzt geblieben.« Die Soldaten hatte den Vorgang nicht richtig erfaßt. Sie hielten die rote Schärpe für eine übernatürliche Erscheinung, was die Furchtbarkeit des ganzen Auftritts nur noch unterstrich. »Unglaublich«, der Daj schüttelte den Kopf, »du sagst also, der pfeifende Teufel habe die scharfe Klinge mit der bloßen Hand fest umklammert?« »Ja, Sayd.«
    »Maschallah! Hole mir Isidolada. Sie soll sofort kommen und ihren schönsten Schleier anlegen.« Hussejn verbeugte sich und ging hinaus.
    Michel Baums Nerven spannten sich allmählich wieder. Er mußte

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