El Silbador
blitzschnell. Sein Fuß, an dem noch die Strümpfe saßen, fuhr unter der Decke hervor und trat auf ihre Hand, hart und erbarmungslos.
Ein leiser Aufschrei entwich ihren Lippen. Sie ließ das Messer fahren und öffnete und schloß die mißhandelten Finger. Und plötzlich standen Tränen in ihren Augen. »Weshalb glaubt Ihr nicht an meine Liebe?« fragte sie mit kläglicher Stimme. Michel betrachtete ihre ebenmäßigen, unschuldig wirkenden Züge. Ihre Schönheit war überraschend. Sie hätte auch einen weniger empfindsamen Menschen als ihn entzündet. Aber er wehrte sich mit der ganzen Kraft seiner aufrechten Seele gegen das aufkommende Gefühl der Leidenschaft.
»Geht in Eure Koje, Gräfin. Ich möchte, daß wir das Gespräch beenden. Es führt zu nichts, wenn ich mir Euretwegen die Nacht um die Ohren schlage.« Deutlicher konnte er seiner Ablehnung nicht Ausdruck verleihen.
Doch die Frau kauerte sich nieder. Sie konnte sich nicht lösen von diesem Mann, in dessen Herz sie die reine Liebe vermutete. Wie von Sinnen starrte sie ihn mit brennenden Augen an. »Nehmt mich doch wenigstens wie eine Dirne, bevor Ihr mich wegwerft«, flehte sie. »Ich will nicht. Ich würde selbst nach Jahren völliger Abgeschiedenheit das Gefühl nicht aufbringen, das zur Erfüllung Eures Verlangens nötig wäre. Ich hasse Euch nicht und ich liebe Euch nicht. Ich kann Euch nur verachten.«
Michel fuhr immer gröberes Geschütz auf, um sich von ihrer Anwesenheit zu befreien. Er spürte bereits, daß er den strahlenden Augen dieses Weibes nicht mehr lange würde widerstehen können.
Marina stand plötzlich wie eine Katze neben seinem Lager. Ihre Augen funkelten, und ihre rötlich schimmernden Haare glänzten im Schein der flackernden Kerze. »Ihr werdet mich nicht mehr loswerden, Silbador. Es sei denn, Ihr werft mich ins Meer oder verratet mich dem Kapitän. Warum bringt Ihr mich nicht um? Es wird Euch doch niemand dafür bestrafen.Im Gegenteil, Ihr vollstreckt damit nur ein Urteil, das jedes Gericht in Spanien über mich verhängt hätte.« »Ich bin kein Henker«, anwortete Michel, und seine Kehle war strohtrocken. »Muy bien, Senor Silbador«, lächelte sie mit halbgeschlossenen Augen, »ich werde Euch überall hin verfolgen. Ich werde mein ganzes Leben nur noch damit verbringen, Euch im Wege zu sein. Und ich werde unter Euern Augen Verbrechen begehen, bis — bis Ihr mich entweder tötet oder durch Eure Liebe erlöst.«
»Pah«, sagte Michel nur. Es fiel ihm nichts weiter ein.
»Ihr werdet«, fuhr sie unbeirrt fort, »immer an mich erinnert werden. Und wenn Ihr je eine andere Frau lieben solltet, so werde ich Euch in den Weg treten. Vielleicht werde ich Euch nochmals mit Gewalt in meine Macht bringen. Dann sollt Ihr um meine Liebe betteln, die Ihr jetzt verschmäht. Euch zu lieben und Euch dabei langsam zu töten, wird der höchste Augenblick in meinem Leben sein.«
»Geht!« schrie Michel heiser. »Geht, ehe ich Euch schlage. Fluch über die Mutter, die Euch geboren hat. Laßt mich in Ruhe.«
Marina ging lächelnd Schritt um Schritt zurück, bis sie im Dunkel des Ganges verschwunden war.
Michel erhob sich. Alles in ihm war Aufruhr. Sein Herz tobte in wilden Sprüngen. Das Blut stieg ihm zu Kopf, und Schweiß brach ihm aus allen Poren.
Er zog die Lederdecke heran, in die er seine Waffen, das kostbare Schnellfeuergewehr des Grafen und den Damaszener Degen seines Vaters, eingeschlagen hatte. Da war auch noch die Pfeife, die ihm der Vater nebst Geld ins Abschiedsbündel gelegt hatte. Der Tabakrauch verdunkelte bald den Schein der Kerze, die immer schwächer brannte und dann gänzlich erlosch.
Michel konnte sich in den nächsten Tagen aufhalten, wo er wollte. Immer war der »Heilgehilfe« um ihn. Wenn niemand sonst in der Nähe war, geizte Marina nicht mit aufreizenden, traurigen, verführerischen oder anklagenden Blicken.
Es gelang ihr binnen kurzem, restlose Verwirrung über ihn zu bringen. Immer öfter und immer schriller pfiff sich Michel seine Bedrängnis von der Seele. Seine Melodien wurden schauerlicher und teuflischer. Die ganze Revolte einer Seele lag in ihnen, einer Seele, die nicht lieben wollte und die doch immer mehr in den Bannkreis der Leidenschaft geriet. Die Mannschaft machte scheu einen Bogen um den Schiffsarzt, der ihr von Tag zu Tag unheimlicher wurde.
Anfangs waren die Leute wegen jeder Kleinigkeit vertrauensvoll zu ihm gekommen. Schon der Glaube an seine Kunst wirkte Wunder. Jetzt aber hatten sie Angst vor
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