Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
El Silbador

El Silbador

Titel: El Silbador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
Vom Netzwerk:
nur noch der Rumpf in Ordnung war, sonst nichts.
    Michel nahm die Lederrolle über die Schulter und ging mit weit ausladenden Schritten zum Heck. Die Soldaten sahen kurz auf, ohne aber ihre Lage auch nur um einen Zoll zu verändern. Faule Gesellschaft, dachte Michel. Aber er war ehrlich genug, sich zu fragen, ob er sich in ihrer Lage anders verhalten hätte.
    Er begann zu pfeifen. Keine schauerliche Weise diesmal, sondern irgendeinen nichtssagenden Gassenhauer.
    Dann blieb er stehen und sah sich suchend um.
    Wo, um alles in der Welt, waren seine spanischen Freunde und der hessische Graf?
    »Sucht Ihr jemanden, Herr Doktor?« fragte ein in der Nähe liegender Korporal.
    »Ja, Kerl, natürlich. Oder meint Er, ich stehe hier zum Spaß herum, nur um mir den Atlantik anzuschauen?«
    Die scharfe Antwort bewirkte, daß der Korporal sichnun doch endlich erhob und zu dem Mann hintrat, der ihnen allen das Leben gerettet hatte.
    »Ihr müßt entschuldigen, Herr Doktor, uns sitzt nämlich der Schreck noch gewaltig in den Gliedern. Der Schlaf in der frischen Luft hat uns gut getan. Ich für meinen Teil stehe Euch jetzt zur Verfügung. Kann ich etwas für Euch tun?« Michel sah sich sein Gegenüber belustigt an.
    »Für mich?« fragte er lachend, »nein, es wäre wahrhaftig vernünftiger, wenn ihr alle so schnell wie möglich etwas für euch selber tätet. Oder glaubt ihr vielleicht, daß das Schiff seinen Hafen ohne Segel und mit zerbrochenem Ruder findet?« Der Korporal sah ihn verlegen an.
    »Wir verstehen nichts von der Seefahrt, Herr Doktor; ich glaube nicht, daß hier auch nur ein einziger ist, der so viel Wasser auf einmal gesehen hat. Hätte nie für möglich gehalten, daß es sowas überhaupt gibt. Die englische Flotte, die uns in die britischen Kolonien bringen sollte, bestand immerhin aus mehreren Schiffen, und wir sahen noch etwas anderes als Wasser und unseren kleinen Kahn. Aber jetzt — —«
    »Oh«, meinte Michel, »was die Wassermassen anbelangt, da gebt euch keinen Illusionen hin. Der Atlantik ist ein mittelgroßer Teich gegen den Pazifik, mit dem ihr hoffentlich nie in Berührung kommen werdet. Aber es hat wenig Zweck, Geographie zu treiben oder gar zu philosophieren. Wenn wir irgendwo an Land gehen wollen, müssen wir zuerst die Fregatte wieder klarmachen. Sollte allerdings ein Sturm kommen, dann werdet ihr die Heimat nie wiedersehen.«
    Michel richtete den Blick zum Himmel. Soweit er das beurteilen konnte, gab es keinen Anlaß, von einem Sturm zu sprechen. Aber er sagte sich ganz richtig, daß es nichts schaden könnte, wenn man den Männern ein wenig Angst machte, damit sie den Ernst der Lage begriffen.
    Die Wirkung seiner Worte blieb auch nicht aus.
    »Ein Sturm, Herr Doktor? Meint Ihr wirklich, daß--«
    »Ich meine gar nichts, Freund. Wir werden es schon schaffen. Aber wenn ihr noch lange in den Tag hinein faulenzt, dann können wir mit allerlei Überraschungen rechnen. Los, wir müssen ran! Hört mal zu, Männer«, wandte er sich an alle, die in seiner Nähe lagen, »ihr habt jetzt genug geschlafen. Untersucht mal das ganze Schiff von oben bis unten, ob ihr irgendwelche Lappen findet, die sich als Segel verwenden lassen. Wenn ihr genug beisammen habt, werden wir weitersehen. Wir müssen trachten, nach Norden oder nach Westen zu segeln. Entweder erreichen wir das Festland von Nordamerika, oder wir landen vorübergehend an einer der Antillen-Inseln. Wenn wir erst an Land sind, kann jeder selbst entscheiden, was er tun will. Vorerst aber geht es ums nackte Leben.«
    Michel ließ seinen Blick in die Runde schweifen. Die Soldaten hatten sich schon bei seinen ersten Worten erhoben und einen Kreis um ihn gebildet. Allseitiges Nicken bedeutete Zustimmung, und sofort setzte eine fieberhafte Tätigkeit ein.
    Jeder kennt wohl die dumpfe Verzweiflung und Lähmung, die sich des Menschen allzu leicht in hoffnungslos scheinenden Lagen bemächtigt. Gleichgültigkeit ist der gefährlichste Feind des Menschen. Dann muß jemand dasein, dem man Vertrauen entgegenbringt.Michels erste Aufgabe mußte also sein, die Hoffnungslosigkeit und Trägheit der Männer zu besiegen. Das war nicht leicht; denn er selbst hatte nicht viel Hoffnung, mit diesen Landratten die kommenden Schwierigkeiten zu überwinden. Er wußte aber auch, daß hier nur der zähe Wille eines Mannes zum Ziel führen konnte.
    Eine Weile sah er dem emsigen Treiben zu, das inzwischen eingesetzt hatte; dann ging er zu der Luke, die zum Zwischendeck führte. Er fand

Weitere Kostenlose Bücher