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El Silbador

El Silbador

Titel: El Silbador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Guben
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ungeeignet. Der Eifer, mit dem sie an Land auf den Märkten um einen Becher Oliven- oder Tomatenmark feilschen, war hier keineswegs wiederzuerkennen. Ihr Offizier mochte noch so schimpfen und schmeicheln, sie ließen sich nicht aus der Ruhe bringen. Es war ihnen gleichgültig, ob sie Engel oder Teufel genannt wurden. Nur nicht überarbeiten! Das Tauende war immer noch eher zu ertragen als die einfachste Beschäftigung, die womöglich in Arbeit ausarten konnte.
    Der feurige Ball der Sonne tauchte im Osten aus dem Meer. Ojo war vor seinem Raketenkasten eingenickt. Da weckte ihn der Ruf seines Kameraden. »Schiff noch immer Steuerbord voraus!« Ojo fuhr auf. Ja, Deste hatte richtig gesehen. Tatsächlich, ein Dreimastsegler schnittiger Bauart! Etwa dreitausend Fuß von ihnen entfernt schaukelte er auf den Wellen. Ojo raste in die Kabine, um die Spanier und Michel zu wecken.
    »He, Senores, wacht auf! Schiff an Steuerbord!« Mit einem Ruck schüttelte Michel die bleierne Schwere aus den Gliedern. Mühevoll brachte er etwas Speichel in seinem Mund zusammen, um sich wenigstens die schlaf- und dursttrockene Zunge zu befeuchten. Dann packte er die graue Lederrolle, in der seine Waffen waren, und rannte hinter Diaz Oio her.
    Nicht so schnell war der Kapitän auf den Beinen. Er hatte seit sechsunddreißig Stunden keinen Tropfen Wasser genossen. Zudem drückte ihn die Last der Jahre nieder, ganz besonders in dieser verzweifelten Lage. Aber die Ankündigung eines nahenden Schiffes ließ ihn sich noch einmal aufraffen. Er wankte vom Lager hoch, taumelte durch die Kabine, stülpte sich seinen Hut auf den zerwühlten, weißhaarigen Kopf und stieg ächzend die Treppe zum Deck empor. An der Reling stand Michel und blickte zu dem sich nähernden Schiff hinüber. »Gib mir dein Sehrohr, Ojo. — Deste«, rief er dann laut, »hast du das Fahrzeug schon ausmachen können?«
    »No, Senor Doktor, es führt keine Flagge.«
    Michel sah gespannt hinüber. Er konnte bereits die einzelnen Leute unterscheiden. Kopfschüttelnd setzte er das Rohr ab und reichte es dem inzwischen herangekommenen Kapitän. »Was sind das für eigenartige Gestalten? Man könnte sie fast für Muslimun halten. Tragen sie nicht Turbane?«
    »Si, si, Ihr habt recht. Wahrhaftig, Mohammedaner in diesen Gewässern! Por Dios, es werden doch keine Korsaren sein?«
    In diesem Augenblick stieg drüben die Flagge hoch.
    Deste beobachtete den Vorgang ganz genau. Plötzlich schrie er:
    »Senor Baum, wir müssen uns kampfbereit machen. Sie zeigen die algerische Flagge. Rot, mit weißem Feld, Stern und Halbmond. Es sind Korsaren des Pascha von Algier.« Michel riß dem Kapitän das Glas aus der Hand und schaute abermals hinüber. Teufel auch, Deste hatte recht... Aber kämpfen? Womit? Die Soldaten hatten keine Musketen mehr. Für die Kanonen war zwar noch genügend Munition vorhanden. Was aber, wenn sie die Korsaren in die Flucht schlügen? Dann hatten sie noch lange kein Wasser und keine Lebensmittel, keine anständigen Segel und keinen Wind, der sie nach Madeira bringen würde. »Ojo«, sagte Michel resigniert, »schieße nochmals zwei Raketen ab, damit sie merken, daß wir wirklich in Seenot sind, wenn sie es nicht bereits an unserer zerstörten Takelage gesehen haben.« Ojo zögerte. »Vermaledeit, Senor Baum, wißt Ihr nicht, daß der Daj von Algier Menschenhandel treibt? Wenn wir uns ergeben, schleppen sie uns nach Nordafrika und machen uns zu weißen Sklaven. Ich danke.«
    Michel griff selbst zu einer Rakete, schlug Feuer und entzündete die Lunte. »Was nützt das alles, Ojo, wenn wir hier in den nächsten Tagen verdursten! Damit ist auch nichts gebessert. Wir können nichts dafür, daß die verdammten Kerle unser Wasser ausgetrunken haben. Sieh sie dir an. Da liegen sie mit vollgesoffenen Bäuchen und grunzen in den Morgen hinein. Sie haben überhaupt noch nicht bemerkt, daß es ihnen jetzt vermutlich an den Kragen
    gehen wird. Steig hinunter und hole Eberstein. Ich will die Verantwortung für die Hessen nicht allein tragen. Und für den Fall, daß wir, der Kapitän, Jardin, du und Deste in Gefangenschaft geraten, bereitet euch darauf vor, daß ihr stets davon sprecht, ich sei Zauberkünstler und Wunderarzt, und ihr alle wärt meine Gehilfen.«
    »Wollt Ihr den Korsaren etwas vorgaukeln, Senor Doktor?«
    Michel zuckte die Schultern.
    »Wie kann ich jetzt schon wissen, was wir tun werden? Vorher Pläne zu schmieden, ist völlig sinnlos.« —
    Die »Medina«, das algerische

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