Elantris
Elantris am Herzen.
Wie alle Elantrier war er mehr Leiche als Mann: Seine Haut war trocken und glanzlos, Kopfhaut und Augenbrauen völlig kahl. Ihre Abscheu schwand jedoch von Tag zu Tag, während sie sich an die Stadt gewöhnte. Sie hatte bei Weitem nicht den Punkt erreicht, an dem sie die Elantrier schön fand, aber zumindest wurde ihr bei ihrem Anblick nicht länger mulmig zumute.
Dennoch zwang sie sich, Lebensgeist bei seinen freundschaftlichen Annäherungsversuchen die kalte Schulter zu zeigen. Sie war zu lange in der Politik tätig gewesen, um einem Gegner offen ihre Gefühle zu zeigen. Und er war zweifellos ein Gegner, ganz gleich, wie freundlich er sein mochte. Er spielte mit ihr, stellte ihr falsche Bandenanführer vor, um sie abzulenken, während er selbst die Essensausgabe überwachte. Sie konnte sich noch nicht einmal ganz sicher sein, dass er ihre Abmachung vollständig einhielt. Woher sollte sie wissen, ob es sich bei den Elantriern, die das Essen in Empfang nehmen durften, nicht einzig und allein um seine Gefolgsleute handelte? Vielleicht war er so optimistisch gestimmt, weil sie ihm unbeabsichtigterweise dabei half, die Oberherrschaft über die gesamte Stadt zu erringen.
Der Karren fuhr über eine besonders große Unebenheit, und Sarene wurde auf den hölzernen Boden geschleudert. Zwei leere Kisten fielen von einem Stapel und wären beinahe auf ihr gelandet.
»Wenn wir Shuden das nächste Mal sehen«, murmelte sie verdrossen, wobei sie sich das Gesäß rieb, »erinnere mich daran, ihm einen Tritt zu versetzen.«
»Sehr wohl, Mylady«, sagte Ashe zuvorkommend.
Sie musste nicht lange warten. Unglücklicherweise bot sich ihr aber nicht die Gelegenheit zuzutreten. Wahrscheinlich hätte sie Shuden aufspießen können, wenn sie es gewollt hätte, aber damit hätte sie sich bei den Hofdamen nicht sonderlich beliebt gemacht. Es war einer der Tage, an denen die Frauen ihre Fechtübungen absolvierten, und Shuden war wie gewöhnlich anwesend - auch wenn er fast nie aktiv daran teilnahm. Dankenswerterweise unterließ er es aber auch, seine ChayShan-Übung vorzuführen. Die Frauen bliesen seinetwegen schon genug Trübsal.
»Sie werden tatsächlich besser«, sagte Eondel anerkennend, während er den Frauen beim Kämpfen zusah. Jede hatte einen stählernen Übungsdegen sowie eine Art Uniform: einen einteiligen Hosenanzug wie der, den Sarene trug. Allerdings trugen die Hofdamen ein Tuch wie eine Art Rock um die Hüfte. Der Stoff war dünn und völlig sinnlos, aber da die Frauen sich auf diese Weise wohler fühlten, sagte Sarene nichts - ganz egal, wie töricht das Ganze in ihren Augen aussah.
»Ihr klingt überrascht, Eondel«, sagte Sarene. »Habt Ihr mich für so eine schlechte Lehrerin gehalten?«
Der stattliche Krieger versteifte sich. »Nein, Eure Hoheit, auf gar keinen ...«
»Sie neckt Euch nur, Mylord«, sagte Lukel, der zu ihnen trat und Sarene mit einem zusammengerollten Papier über den Kopf schlug. »Ihr dürft Ihr solches Verhalten auf keinen Fall durchgehen lassen. Das ermutigt sie nur.«
»Was ist das?«, fragte Sarene und riss Lukel das Papier aus der Hand.
»Die Einkommensbilanz unseres lieben Königs«, erläuterte Lukel. Er fischte eine hellrote Sauermelone aus der Tasche und biss hinein. Er hatte noch immer nicht erklärt, wie er einen ganzen Monat vor der Saison an eine Ladung mit dem Obst gelangt war. Alle anderen Kaufleute waren längst rasend vor Neid.
Sarene überflog die Zahlen. »Wird er es schaffen?«»Ganz knapp«, sagte Lukel mit einem Lächeln. »Aber seine Einkünfte aus Teod zusammen mit den Steuereinnahmen sollten ansehnlich genug sein, um ihm peinliche Schwierigkeiten zu ersparen. Herzlichen Glückwunsch, Cousine, du hast die Monarchie gerettet!«
Sarene rollte das Papier wieder zusammen. »Tja, eine Sache weniger, um die wir uns Sorgen machen müssen.«
»Zwei«, verbesserte Lukel sie, dem ein wenig rosafarbener Saft die Wange hinabrann. »Unser lieber Freund Edan ist außer Landes geflohen.«
»Was?«, fragte Sarene.
»Es stimmt, Mylady«, sagte Eondel. »Ich habe die Kunde erst heute Morgen vernommen. Baron Edans Ländereien grenzen unten in Südarelon an die Große Schlucht, und die Regenfälle neulich haben Teile seiner Felder unter Schlammlawinen begraben. Edan hat sich entschlossen, weiteren finanziellen Verlusten vorzubeugen, und ist zuletzt auf dem Weg nach Duladel gesichtet worden.«
»Wo er schon bald herausfinden wird, dass das neue Königshaus nicht sonderlich viel
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