Elben Drachen Schatten
wahr«, erklärte Kapitän Ithrondyr. »Ich habe Euer Land wirklich betreten und damals viel Neues erfahren. So glaube ich nun auch, dass es in unserer Alten Heimat tatsächlich Menschen gegeben hat, wie die Alten es immer behauptet haben – auch wenn mir diese Geschichten in meiner Jugend nie glaubhaft erschienen.«
»In den Legenden, die über Euer Volk seit Eurem Besuch bei uns im Umlauf sind, heißt es, dass Ihr Elben dem Alter kaum unterworfen seid. Gerade das ist es aber, weshalb nach Ansicht vieler diese Geschichten einfach zu fantastisch sind, um wahr sein zu können. Ihr jedoch, Kapitän Ithrondyr, seid Beweis genug für die Richtigkeit dieser Legenden, zeigt Ihr doch so gut wie keine Spuren des Alters oder gar der Hinfälligkeit. Wie ist das möglich?«
Ithrondyr blieb eine Antwort auf diese Frage schuldig. »Ich habe mich mit König Boras I. gut verstanden. Er war trotz seiner kurzen Lebensspanne ein weiser und vorausschauender Staatsmann.«
»Als solcher ist er in die Geschichte Tagoras eingegangen«, erklärte Kapitän Manadarius.
Wenig später berichtete er von einer Kolonie, die von den Tagoräern auf dem Südkontinent gegründet worden sei und den Namen Hiros habe. »Wir nennen dieses Land ›Rhagardan‹ oder auch ›die Sandlande‹. Nur an der Küste gibt es Pflanzenbewuchs, im Inneren ist dieser Kontinent eine einzige Gluthölle, in der nur Barbaren leben. Wir nennen sie ›die Rhagar‹ – ein primitives und sehr brutales Menschenvolk, das die Sonne und den Mond anbetet. Als ich im letzten Jahr mit meinem Schiff unsere Kolonie Hiros anlief, fanden wir die Stadt niedergebrannt vor. Nahezu alle Einwohner waren erschlagen worden, nur wenigen war die Flucht gelungen.«
»Ist es sicher, dass diese Barbaren, von denen Ihr sprecht, dafür verantwortlich sind?«, fragte Keandir interessiert.
»Daran gibt es keinen Zweifel.«
»Ich nehme an, Hiros war mit ähnlich guten Katapulten geschützt, wie ich sie in Euren Städten Toban und Danabar gesehen habe?«, vergewisserte sich Kapitän Ithrondyr, der die Stirn in tiefe Falten gelegt hatte.
Manadarius nickte entschieden. »O ja, am mangelnden Schutz hat es nicht gelegen, dass man uns vom Südkontinent vertreiben konnte, von wo aus wir Salz zu importieren pflegten. Die Rhagar waren einfach zu zahlreich, wie wir sehen konnten, als wir ein Stück die Küste entlangsegelten, wo ihre wilden Horden kampierten. Wir nehmen an, dass Sie die Stadtmauern überkletterten und so ins Innere gelangten. Dort müssen sie wie in irrer Raserei alles erschlagen haben, was sich regte. Später stießen wir auf einige wenige Flüchtlinge aus Hiros, die es geschafft hatten, sich mit Booten und Schiffen auf das Meer zu retten, und deren Berichte bestätigen unsere Annahmen.«
»Aber spracht ihr nicht von den Rhagar als einem Menschen volk?«, vergewisserte sich Keandir.
»Das ist richtig«, bestätigte der Tagoräer.
»Diese Unbarmherzigkeit selbst gegenüber verwandten Wesen verwundert und erschreckt mich gleichermaßen«, gestand der Elbenkönig, der sich an die blutigen Geschichten erinnerte, die man sich in Athranor über die Menschen erzählt hatte.
Es war das erste Mal, dass die Elben von Elbiana von dem grausamen Menschengeschlecht der Rhagar hörten.
Aber es sollte nicht das letzte Mal sein …
10. Kapitel
Freunde, Verbündete und Feinde
Die tagoräischen Seefahrer kehrten nach ein paar Monaten in ihre Heimat zurück. König Keandir hatte ihnen versprochen, im Verlauf der nächsten Jahre eine Expedition nach Tagora zu schicken.
Doch die nächsten Winter waren hart, und es kam zu Schäden an manchen Burganlagen in den nördlichen Siedlungen. Nordhaven fiel einer Sturmflut zum Opfer, die sich auch durch Anrufung der Elementargeister nicht nennenswert besänftigen ließ; der nördlichste Hafen Elbianas ging in den Fluten unter, und zweihundert Elben kamen dabei ums Leben.
Dieser Verlust versetzte das ganze Reich in einen Zustand des lähmenden Entsetzens. Nachdem die Elben eine Ewigkeiten dauernde Seereise überstanden hatten, hatte niemand damit gerechnet, dass ihnen das Meer noch einmal zur tödlichen Gefahr werden könnte. Dazu kam, dass man inzwischen an den Tod nicht mehr gewöhnt war. Während es in den ersten Jahren Elbianas immer noch mehr oder minder regelmäßig Opfer des Lebensüberdrusses gegeben hatte, wählten inzwischen nur noch einzelne Elben diesen Weg in die Sphäre der Jenseitigen.
Immer größere, ausladendere und gewagtere Bauten
Weitere Kostenlose Bücher