Elben Drachen Schatten
allen Lebens das oberste Prinzip ihrer Religion war – was nicht hieß, dass sie nicht auch Waffen zu ihrer Verteidigung besaßen. Doch hatten sie, wie Branagorn bemerkte, diese wohl schon lange weder benutzt noch gepflegt, denn viele ihrer Äxte und Schwerter waren stark angerostet.
Ab und zu kamen Zentauren aus dem nördlich von Zylopien gelegenen Waldreich ins Land der sechsarmigen Riesen, aber es gab kaum Kontakt zwischen beiden Gruppen. Die zylopischen Riesen tolerierten es offenbar, dass Gruppen von Zentauren ihr Land durchquerten, um in den südwestlichen Gebieten des Zwischenlands auf Wanderschaft zu gehen. Über Sinn und Zweck dieser Wanderschaften konnte Branagorn bei seiner Rückkehr nichts erzählen. Aber immerhin stand fest, dass man in den Zylopiern einen weiteren äußerst friedlichen und mehr mit sich selbst beschäftigten Nachbarn hatte, mit dem sich in den nächsten tausend Jahren wahrscheinlich gut auskommen ließ.
Ähnliches galt für die Tagoräer im Süden, die schon allein aufgrund der großen Entfernung keine Gefahr für das Elbenreich darstellten und darüber hinaus eher an Handel und Austausch als an kriegerischer Expansion interessiert waren.
König Keandir setzte Kapitän Isidorn als Herzog in Nordbergen ein. Lirandil dem Fährtensucher bot er das Herzogtum Nuranien an, da dieses direkt an das Waldreich der Zentauren grenzte und Lirandil bekanntermaßen am besten mit ihnen zurechtkam (und diese Verbündeten waren für das Elbenreich ja aufgrund des Handels mit der Sinnlosen von besonderer Bedeutung). Doch Lirandil, der sich über die Maßen für das Reich verdient gemacht hatte, lehnte die Erhebung zum Herzog ab. »Ich habe die Verantwortung eines Anführers nie gesucht, mein König«, bekannte er, als er von einer seiner weiten Reisen wieder einmal nach Elbenhaven zurückgekehrt war.
Inzwischen hatte er eine Reihe junger, größtenteils Elbiana-geborener Elben, die ihn auf seinen Streifzügen in Waldreich und darüber hinaus begleiteten, in der Kunst des Fährtenlesens unterwiesen; so bestand nicht mehr die Gefahr, dass dieses uralte elbische Wissen verloren ging, falls Lirandil etwas zustieß. Umso freier fühlte sich der Fährtensucher daher auch, immer weitergehende Vorstöße und Wanderungen zu unternehmen. So hatte er das Waldreich inzwischen von seinen Grenzen an den Gipfelketten Nordbergens bis zur Grenze des zylopischen Hochlands erforscht.
»Ich möchte mir die Freiheit eines Fährtensuchers erhalten«, brachte es Lirandil schließlich auf den Punkt, nachdem er schon eine Reihe von Argumenten gegen das großzügige Angebot des Königs vorgetragen hatte.
»Ihr lehnt diese Ehre also tatsächlich ab?«, fragte Keandir, und Enttäuschung schwang in seiner Stimme mit.
»Es ist gewiss eine Ehre, aber ich bin keineswegs derjenige, der dafür am geeignetsten wäre. Es gibt sicherlich andere unter Euren Getreuen, die ein solches Amt besser auszufüllen vermögen als ich. Ich denke da zum Beispiel an Branagorn, dem eine solche Aufgabe helfen könnte, den Kummer über seine verlorene Liebe zu vergessen.«
»Branagorn wird bereits Herzog von Elbara«, erklärte König Keandir. »Und für Nuranien wüsste ich niemanden, der dafür besser geeignet wäre als Ihr.«
»Wie gesagt, mein Entschluss steht fest – und ich hoffe, dass es mir mein König nicht übel nimmt, wenn ich ihm den Dienst als Herzog verweigere. Ich tue das nur, weil ich Euch an anderer Stelle viel besser zu dienen vermag.«
Keandir seufzte. »Wahrscheinlich ist es sinnlos, Euch überreden zu wollen, nicht wahr?«
»Die Entwicklung in Nuranien und Elbara konnte ich über viele Jahre hinweg beobachten. Dass es irgendwann nötig sein würde, dort einen Herzog einzusetzen, kündigte sich für mich schon langfristig an – und dass dann mein Name ins Spiel käme, konnte ich mir ebenfalls denken. So hatte ich Zeit genug, um darüber nachzudenken und alle Vor- und Nachteile gründlich abzuwägen.«
Keandir dachte nach und legte sein Kinn auf die rechte Faust, den Ellenbogen aufs Knie gestützt. So saß er einen Moment sinnierend auf seinem Thron, bevor er Lirandil fragte: »Was haltet Ihr von Merandil dem Hornbläser?«
Lirandil hob die Augenbrauen. »Ihr würdet damit einen verdienten Gefolgsmann für seine Treue belohnen – in dieser Hinsicht wäre gegen diese Entscheidung nichts einzuwenden. Aber weshalb lasst Ihr nicht einen Eurer Söhne sich als Herzog von Nuranien bewähren?«
»Nein.« Der König schüttelte
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