Elben Drachen Schatten
Sie war ungewöhnlich blass - noch blasser als sonst. Edro nickte Lakyr zu.
"Wir müssen eine Rast einlegen", bestimmte er und sie setzten die Bahre mit Mergun ab. Dann trug Edro Kiria an einen angenehmeren Platz, wo sie sofort einschlief. Um Mergun stand es noch schlimmer. Noch immer war sein Bewusstsein nicht zurückgekehrt und sein Herzschlag wurde ständig langsamer.
"Es ist nicht übertrieben, das Schlimmste für Mergun zu befürchten", hatte Edro behauptet. Irgendwo auf einem der Baumriesen sah er dann die kleine, bepelzte Gestalt der zweiköpfigen Katze. Sie schien die Gegend zu beobachten und das Lager der Gruppe zu bewachen. So unscheinbar und klein sie auch sein mochte - im Kampf war sie ein tödlicher Gegner. Ein Stöhnen durchschnitt die Stille. Es kam von Merguns Bahre. Edro und Lakyr eilten sofort herbei. Der Mann von der Wolfsinsel hatte die Augen geöffnet und blinzelte um sich. Edro beugte sich über ihn und seine Anwesenheit schien Mergun etwas zu beruhigen. Dennoch versuchte er immer wieder zu sprechen, aber kein Laut kam über seine Lippen. Er war zu schwach.
*
Erst am nächsten Morgen konnten sie aufbrechen. Widerstrebend gab Edro nach und sie folgten der zweiköpfigen Katze. Zielstrebig ging sie voran. Sie schien sehr genau zu wissen, was sie tat. Es kam oft vor, dass Kiria zusammenbrach. Dann mussten Edro und Lakyr die Bahre mit dem inzwischen wieder bewusstlosen Mergun absetzen, um ihr aufzuhelfen. Doch oft genug war sie zu schwach dazu und die Gruppe musste eine Rast von mehreren Stunden einlegen. Immer langsamer kamen sie vorwärts. Es war jetzt selten, dass sie mehrere Stunden lang ohne Unterbrechung liefen. Als die Dämmerung einsetzte aßen sie dann ihren letzten Fisch.
"Morgen werden wir ohne essen auskommen müssen", stellte Edro düster fest, als sie abends am Feuer saßen. Lakyr streichelte seine Katze und blickte sie nachdenklich an. "Sie weiß, wohin sie geht, das spüre ich, Edro. Wir sollten ihr vertrauen." Edro antwortete nicht. Er nahm einen kräftigen Schluck aus der Feldflasche. Als sie am anderen Tag weiter marschierten, knurrten ihre Mägen, aber sie hatten nichts mehr bei sich, was sie hätten essen können. Und an die wild wachsenden Beeren und Früchte zu gehen, wäre zu riskant gewesen - wer wusste schon welche von ihnen giftig und welche genießbar waren? Zu dem Hunger kam die Erschöpfung. Der nächtliche Schlaf konnte die Kräfte, die am Tage verloren gingen, nicht vollständig zurückbringen. Aber dann erreichten sie nach einem weiteren Tag ein kleines Ghorraparen-Dorf. Es war mitten im Dschungel auf einer freigehauenen Lichtung erbaut und bestand aus mehreren Dutzend Hütten. Dieses Dorf muß die ganze Zeit über das Ziel der Katze gewesen sein, wurde es Edro plötzlich klar. Einige quiekende Kinder rannten ihnen entgegen und beäugten sie misstrauisch und lachten.
"Vielleicht gestatten uns diese Leute, hierzubleiben, bis Mergun wieder gehen kann", meinte Lakyr. Sie blieben jetzt stehen und setzten die Bahre ab. Inzwischen waren auch einige Männer und Frauen gekommen. Manche von ihnen rauchten merkwürdige Pfeifen. Einige von ihnen waren auch mit Schwertern oder Lanzen bewaffnet. Ein alter, weißhaariger Mann trat schließlich vor. Sein Gesicht strahlte Würde aus - aber es war hart und kantig.
"Ich bin Flar, Häuptling vom Stamm der Dagaroy! Ich grüße euch!"
"Wir sind Reisende und würden gerne solange in Eurem Dorf verweilen, Häuptling, bis unsere kranken Gefährten wieder gesund sind."
"Ich habe nichts dagegen, wenn Ihr bei uns bleibt. Wie heißt Ihr?" Edro nannte seinen Namen und auch die Stadt seiner Herkunft, aber der alte Häuptling konnte damit nichts anfangen. Dakor war für ihn lediglich ein Name. Nie zuvor hatte jemand vom Ghorraparen-Stamm der Dagaroy etwas von jener Stadt gehört.
"Und was habt Ihr für ein Reiseziel, Edro?", fragte Flar dann.
"Ein Land. Es trägt viele Namen, habe ich gehört, aber wir kennen es unter dem Namen Elfénia." Flar runzelte die Stirn.
"Nie gehört", bekannte er, "aber die Welt ist groß und es mag sein, dass es dieses Land irgendwo gibt." Man überließ der Gruppe schließlich eine Hütte. Jeden Tag kamen zwei Frauen an diese Hütte und überbrachten den Nahrungsanteil, den man den Gästen zugestand. Der Stamm teilte alles unter seine Mitglieder auf - es gab keinerlei Unterschiede zwischen den einzelnen Familien. Jede bekam, was ihr aufgrund ihrer Kopfzahl zustand. Nachdem sich Lakyr und Edro ein wenig
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