Elben Drachen Schatten
schrie er und wich einige Schritte zurück.
"Du tust gut daran, sein Angebot abzulehnen. Nimm meins an! Es ist ehrlich und gut!", sang hinter ihm jetzt plötzlich eine andere Stimme. Edro wandte sich blitzschnell um und erkannte die Frau mit den aus den Achselhöhlen wachsenden Schlangen.
Mit einem kurzen Ruck stieß er sein Schwert in den Leib der Göttin, aber sein Stoß zeigte bei ihr keine Wirkung. Als er seine Waffe wieder aus ihrem Körper zog, war dieser ohne irgendeine Schramme.
"Glaubtest du, mit einer solchen Waffe einen Gott töten zu können?", fragte sie spöttisch.
Sie lachte laut auf.
"Aber ich verzeihe dir, Sterblicher! Mein Angebot gilt noch immer!"
Edro steckte sein Schwert wieder weg. Er sah jetzt, wie immer mehr Gestalten um ihn herum aus dem Nichts entstanden. Wieder schrien ihre Stimmen durcheinander und versprachen ihm die märchenhaftesten Dinge.
Von Panik und Angst erfüllt rannte der Dakorier davon. Wieder hörte er hinter sich das böse Lachen der Götter. Ein brodelndes Chaos von Stimmen.
Aber Edro vermochte es nicht, den Göttern zu entkommen. Überall tauchten sie erneut auf, um ihn mit ihren Versprechungen zu peinigen.
"Hört auf! Hört auf, ihr ekelt mich an!", schrie er, aber die Götter schienen ihn überhaupt nicht zu hören.
Immer weiter rannte Edro, immer weiter, in der Hoffnung, diesen Alptraumwesen entkommen zu können.
Die Nacht brach herein und Edro lief immer noch. Er hatte zwischendurch nur sehr selten kurz Rast gemacht. Gegessen hatte er überhaupt nichts.
Er war müde und so legte er sich in den Schnee, um zu schlafen. Aber selbst im Schlaf ließen ihn die Götter dieses Berges nicht in Frieden. Sie erschienen ihm in seinen Träumen und warben um ihn.
Edro wachte nach einigen Stunden wieder auf und rannte weiter. Immer tiefer kam er und allmählich verebbten die wilden Versprechungen der Götter. Sie erschienen ihm nicht mehr.
Ob sie es aufgegeben hatten?
Oder mussten sie in der Gipfelregion des Uytrirran bleiben?
Müde lehnte Edro sich an eine kalte Felswand.
"Alles umsonst!", flüsterte er leise vor sich hin. Er war seinem Ziel nicht einen Zentimeter näher gekommen. Er hatte auf der Stelle getreten.
Wut keimte in Edro auf. Aber auf wen sollte er wütend sein, außer auf sich selbst?
Im Osten graute bereits der Morgen. Aber was verhieß der neue Tag?
Wo lag der Sinn hinter dem, was geschah?
Edro wusste es nicht.
Er hatte sich seinem Ziel schon so nahe geglaubt... Das Buch...
Wie viel Weisheit, wie viel Segen mochte mit ihm nun für immer verschlossen sein? Und wie viel Fluch?
Oh, wie konnte es nur passieren, dass die Götter ihre eigene Sprache verlernten?
Wie tief mussten sie gesunken sein...
Aber so war das nun einmal mit den Göttern: Wenn eine Sprache von den Sterblichen nicht mehr benutzt wurde, dann verlernten sie die Götter. Aber es war oft auch umgekehrt.
Als die Sonne sich als roter Glutball über dem Horizont erhoben hatte, glänzten Tränen in Edros Augen.
*
"Ihr seid nicht glücklich", stellte der seltsame Mann fest, der Edro gegenüber saß.
Berauschende und einschläfernde Dämpfe stiegen zur Decke der düsteren Taverne. Auf weichen Lagern befanden sich lallende Männer und Frauen. Sie standen unter Drogen und gaben sich ganz dem Genuss ihres Rausch hin. Sie lebten den Augenblick und nur das Ende dieses Augenblicks schien ihnen im Augenblick Sorgen zu bereiten.
Edro war schon seit drei Wochen in Rolsur und er wusste nicht, wie lange er hier bleiben würde. Er hatte kein Ziel.
"Ihr seid nicht glücklich", wiederholte der Mann und Edro sah ihn verwundert an. Er hatte einen schwarzen Bart und schulterlange Haare. Zwei blitzende Augen wohnten in seinem Gesicht und ihre Blicke schienen Edro zu durchlöchern.
"Warum sollte ich nicht glücklich sein?", fragte Edro.
"Jeder, der hier ist, ist unglücklich!", kam die Antwort. Dann deutete Edros Gegenüber auf die Lallenden. "Oder glaubt Ihr vielleicht, die da sind glücklich?"
"Für den Augenblick scheinen sie es zu sein", überlegte Edro.
"Was ist denn ein Augenblick? Ein Nichts!"
"Ein Augenblick kann eine Ewigkeit sein, guter Freund. Die Zeit ist nur eine Illusion, nichts weiter."
"Wer hat Euch dies gesagt?"
"Ein Gott. Ein sterbender Gott. Ich erschlug ihn."
Der Mann lächelte.
"Ist das der Grund, weshalb Ihr unglücklich seid?"
"Nein. Aber es hängt damit zusammen."
"Erzählt. Erzählt mir Eure Geschichte!"
Edro zog die Augenbrauen zusammen.
"Ich kenne Euch ja gar
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