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Elben Drachen Schatten

Elben Drachen Schatten

Titel: Elben Drachen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Bekker
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kannst?«
    Branagorn fühlte, wie blanker Hass in ihm aufwallte. Aber der Augenlose hatte zweifellos Recht, so sehr es dem jungen Elbenkrieger auch widerstrebte.
    Branagorn senkte die Klinge, steckte sie allerdings nicht zurück in die Scheide. So sinnlos es auch sein mochte, mit einer derartigen Waffe den Augenlosen zu irgendetwas zwingen zu wollen, so wollte er doch auch nicht wehrlos dastehen – auch im Hinblick auf die unsichtbaren Mächte, die an diesem Ort lauerten …
    »Jeder kämpft allein mit seinem Schicksal«, sagte der Seher. »Ich dachte, das hättest du inzwischen begriffen.«
    »Wenn König Keandir etwas zugestoßen sein sollte, werde ich dein Schicksal sein, Schattenkreatur!«
    »Die Sprache deines Volkes, in der du deine Gedanken formulierst, ist ungewöhnlich differenziert in ihrem Ausdrucksvermögen …« Mehr kümmerte sich der Seher um Branagorns Erwiderungen nicht; stattdessen wirkte er sehr konzentriert und war offenbar damit beschäftigt, in den Gedanken des jungen Elbenkriegers zu forschen. »Ah … so viel Rechtschaffenheit, Branagorn! Das ist kaum zu ertragen!« Der Seher kicherte. »Wie gesagt, die Sprache deines Volkes ist sehr differenziert, und zuweilen gibt es in ihr hunderte von Ausdrücken, die denselben Gegenstand beschreiben. Doch jedes dieser Synonyme betont eine andere Facette … Beeindruckend! Aber die Seele, die ich vor mir sehe, ist die Seele eines Kindes, und deshalb spreche ich dich von nun an auch so an, wie ihr im Umgang mit Kindern zu sprechen pflegt.«
    »Damit kannst du mich nicht beeindrucken, Nachtkreatur!«, knurrte Branagorn. Doch etwas beunruhigte ihn: Die Laute, die ihn zuvor noch hatten schaudern lassen, waren auf einmal so gut wie verstummt. Nur hin und wieder war noch ein Glucksen oder Schmatzen zu hören, so als ob etwas in der stinkenden Brühe des so genannten Schicksalssees versank.
    »Kinder – dieser Begriff scheint euch Elben nicht mehr sehr geläufig zu sein. Unter euch sind sie erschreckend selten. Jetzt wundert mich eure Sicht der Dinge nicht mehr. Ja, eine seltsame Welt habt ihr Elben euch geschaffen – ein Welt unerfüllbarer Ideale, voller Luftschlösser und … ja, da ist ein weiterer Begriff: Bathranor , die Gestade der Erfüllten Hoffnung. Du scheinst daran ebenso zu glauben wie an das Reich der Jenseitigen Verklärung. Ein Grad an Naivität, der mich beeindruckt.« Er kicherte erneut. »Im Lauf der Äonen hatte ich immer wieder Besucher hier in meinem einsamen, finsteren Exil. Besucher, die den unterschiedlichsten und absonderlichsten Rassen angehörten ― aber an etwas vergleichbar Naives und Kindisches kann ich mich nicht erinnern.«
    »Schweig!«, rief Branagorn.
    Und er lauschte.
    Die Geräusche aus dem Unsichtbaren waren inzwischen völlig verstummt. Doch die Stille, die auf einmal herrschte, war viel Schrecklicher als alles, was er zuvor vernommen hatte. Branagorns feine Elbensinne waren aufgrund seiner Jugend noch längst nicht so weit entwickelt, wie es bei den Älteren des Lichtvolks der Fall war. Dennoch war er sicher, dass Keandir ganz in seiner Nähe war.
    Branagorn versuchte zu erspüren, ob der König noch lebte. Aber es gelang ihm nicht. Eine geistige Mauer schien Keandir zu umgeben, die nichts zu ihm durchdringen ließ. Oder war es der Augenlose, der ihn abschirmte?
    Branagorn betrachtete dessen entstellt wirkendes Gesicht voller Abscheu. Was war das für ein Spiel, das diese Schattenkreatur mit ihm trieb?
    Da lenkte Branagorn eine Bewegung im Wasser ab. Es schien plötzlich von wurmartigem Getier zu wimmeln. Riesige Aale schlängelten sich darin. Sie balgten sich um eine Beute, offenbar den Körper eines Elben, der regungslos im Wasser lag.
    Branagorn zögerte keinen Augenblick und watete bis zu den Knien in den See. Auch wenn der Ekel vor diesen Kreaturen beinahe übermächtig war, so konnte ihn doch nichts davon abhalten, seinem König beizustehen.
    Branagorn ließ sein Schwert durch das Wasser tanzen. Mehrere der Riesenaale schnitt die Klinge glatt durch. Die anderen verschwanden, stoben in Panik davon. Das gierige Gewürm tauchte davon, und Branagorn fasste den König bei der Schulter. Er steckte das Schwert weg und drehte ihn herum. Der Gestank des Wassers war unerträglich.
    Keandirs Gesicht und Kleidung war vollkommen beschmiert mit diesem öligen Nass – damit und mit einem ebenfalls dunklen, sehr viel zähflüssigeren Saft.
    Branagorn zog Keandirs an Land.
    »Mein König, so atmet doch!«, rief er verzweifelt.

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