Elben Drachen Schatten
ihn hierhin und dorthin und schien gar nicht zu wissen, wo er seinen neu gewonnenen Gesichtssinn als Nächstes hinwenden sollte.
»Ich werde Euch zu gegebener Zeit aufsuchen, werter Rhiagon«, sagte Zerolas.
»Sagt mir jetzt den Preis«, verlangte Rhiagon. »Die Ungewissheit, ob ich in der Lage bin, ihn zu bezahlen, oder ob ich die Augen vielleicht wieder abgeben muss, wäre mir schier unerträglich. Denn ich habe mich bereits entschieden: Ich bin sehr zufrieden mit diesen Augen.«
»Übereilt nichts.« Zerolas' Stimme klang auf einmal kein bisschen mehr einschmeichelnd, sondern mahnend, fast drohend. »Wie ich schon sagte, zu gegebener Zeit werde ich den Preis von Euch einfordern. Und seid gewiss: Ihr könnt ihn bezahlen. Andernfalls hätte ich Euch niemals angesprochen, Hauptmann.«
5. Kapitel
Ein Bettelmönch im Palast von Aratania
»Wir haben noch genug von der Essenz des Lebens«, sagte Larana. »Warum willst du also so plötzlich zum Tempel der Sechs Türme aufbrechen?«
Sie saßen an der festlichen Tafel in einem der Säle des Königsplasts von Aratania. Daron und Sarwen nahmen an diesem Essen nicht teil. Ihr Appetit war sehr wechselhaft, und Magolas hatte seiner Frau erklärt, dass dies ihrem elbischen Erbe entsprang.
Doch auch Larana hatte kaum Appetit, obwohl sich der Hofkoch alle Mühe gegeben hatte, ihrem Geschmack zu treffen. Seitdem ihr Gemahl ihr mitgeteilt hatte, dass Andir tot war, war sie sehr schweigsam und in sich gekehrt.
»Xaror hat mich gerufen «, sagte Magolas. »Ich habe keine Ahnung, was er von mir will. Aber wenn ich schon einmal da bin, werde ich auch nach der Essenz fragen. Es kann ja nicht schaden, wenn wir einen etwas größeren Vorrat davon haben.«
»Ja …« Laranas Stimme klang tonlos. Das Fleisch des gebratenen Rebhuhns erschien ihr fade, obwohl sie wusste, dass sich ihr Hofkoch, ein wahrer Künstler der Küche, alle Mühe gegeben hatte und es hervorragend gewürzt war. Aber schon seit einiger Zeit bemerkte Larana, dass sie nicht mehr so schmeckte wie früher, als würden ihre Geschmacksnerven mit der Zeit absterben. Sie ahnte, dass dies die Folge ihrer verlängerten Lebensspanne war oder vielleicht auch eine direkte Nebenwirkung der andauernden Einnahme der Essenz des Lebens. Sie musste also damit rechnen, dass in Zukunft selbst die allerstärksten Gewürze so gut wie keine Geschmackswirkung mehr hatten.
Larana schob den Teller mit dem Rebhuhn von sich und nahm einen Schluck Wein, dessen Geschmack sich in ihrer Wahrnehmung inzwischen nicht mehr von dem reinen Wassers unterschied. »Manchmal glaube ich, ich wäre innerlich schon tot«, sagte die Gemahlin des Großkönigs, als sie den Kelch wieder abstellte. »Meine äußere Hülle wird am Leben gehalten, aber ich habe den Eindruck, dass meine Seele stirbt!«
Magolas nickte. »Es war vielleicht ein Fehler, Nathranwen fortzuschicken«, murmelte er. »Sie kennt sicherlich einige Essenzen, die deine Stimmung gewiss hätten aufhellen können.«
»So einfach ist das Problem nicht zu lösen, Magolas.«
Ihre Blicke trafen sich. »Ich weiß«, sagte der Großkönig beinahe tonlos.
Mit einer Begleiteskorte von hundert norischen Gardisten ritt Magolas zum Tempel der Sechs Türme in den Wäldern Karanors. Davon, dass nun Stierkrieger – Schattengeschöpfe aus dem Limbus – die Tore des Tempels bewachten und es normalerweise niemandem gestatteten, sich dem Bauwerk auf mehr als eine Meile zu nähern, war der Großkönig natürlich gleich unterrichtet worden. Magolas machte sich durchaus Sorgen darüber. Was hatte Xaror vor? Gab es für den Großkönig tatsächlich noch einen Platz an seiner Seite, wenn das Dunkle Reich erst einmal wieder errichtet war? Magolas konnte sich das entgegen allen Versprechungen, die man ihm gegeben hatte, kaum vorstellen. Zumindest dann nicht, wenn man Xarors bisheriges Gebaren in Betracht zog. Eigentlich gab es bei ihm nur die völlige Unterwerfung. Etwas anderes akzeptierte der Dunkle Herrscher nicht, auch wenn er einige seiner Knechte zunächst in dem Glauben ließ, dass sie ihre eigenen Entscheidungen treffen könnten. In Wahrheit war auch das nichts weiter als Täuschung. Magolas wusste, dass seine Unterwerfung unter Xarors Willen nicht nur das Ende seines eigenen Reichs, sondern das aller anderen Reiche des Zwischenlandes nach sich ziehen würde. Doch er sah keine Möglichkeit, dem Dunklen Herrscher die Stirn zu bieten. Zumindest nicht, wenn ihm etwas an Laranas Leben lag. Sie zu opfern war
Weitere Kostenlose Bücher