Elbengift: Die Zwerge Von Elan-Dhor 1
Mühsam wälzte er sich auf den Bauch, stemmte sich auf die Unterarme und schleppte sich auf ihnen vorwärts, ein winziges Stück nach dem anderen. In diesem Tempo würde er mehr als eine Stunde benötigen, um den Ausgang zu erreichen. Zeit, die ihm nicht mehr vergönnt sein würde, daran gab es keinen Zweifel, denn er war davon überzeugt, dass die Halle den tobenden Energien nicht standhalten und einstürzen würde.
Ein weiteres Stück der Decke brach herab, ein länglicher Gesteinsbrocken, der dicht neben ihm aufschlug, einen Moment lang aufrecht stehen blieb und dann umkippte – direkt auf seine Beine, ehe er ausweichen konnte.
Lhiuvan schrie gellend auf. Er hatte gelernt, Schmerzen zu kontrollieren und zu unterdrücken, aber die Pein, die jetzt über ihn hereinbrach, war zu groß, um sie zu beherrschen.
Hinzu kam die Enttäuschung. So nah war er seinem Ziel gewesen. Es war ihm gelungen, bis hierher zu gelangen, und das Tor begann sich wieder zu öffnen, auch wenn es noch nicht allzu stabil war. Und dennoch war es aufgrund seiner eigenen Unvorsichtigkeit für ihn nun ebenso unerreichbar, als hätte es sich am anderen Ende der Welt befunden. Seine Beine waren zermalmt und eingeklemmt, er würde sich keinen einzigen Schritt mehr weiterschleppen können.
Ihn erwartete nichts als der sichere Tod.
Verzweifelt versuchte er, mit seiner Magie nach dem Tor zu greifen. Nur von dort konnte noch Rettung kommen. Wenn es ihm irgendwie gelang, zu den Wesenheiten Verbindung zu bekommen, die schon die Königinnen der Thir-Ailith mit so unvorstellbarer Macht ausgestattet hatten, gab es vielleicht noch Hoffnung.
Verzweifelt mühte er sich ab, aber seine Kräfte waren viel zu schwach. Wirkungslos verliefen seine Bemühungen im Nichts; seine lautlosen Rufe verhallten ungehört.
Sein Verstand begann sich zu verwirren, seine Sinne schwanden. Schon wollte er seine Versuche aufgeben, als er plötzlich doch etwas vernahm oder wenigstens zu vernehmen glaubte, eine grausame, kalte Stimme, die direkt in seinem Kopf erklang.
WER BIST DU?, fragte die Stimme. Jedes ihrer Worte drang wie ein Speer aus Eis in seine Gedanken und verbreitete eine betäubende Kälte.
Lhiuvan war nicht sicher, ob es die Stimme wirklich gab oder ob er sich nur etwas einbildete. Dafür jedoch hörte er plötzlich etwas anderes: sich nähernde Schritte und Stimmen, die nach ihm riefen. Man hatte sein Verschwinden bemerkt und nicht lange gebraucht, um ihn zu finden. Sein Herz schlug noch schneller, falls dies überhaupt möglich war. Seine Pläne waren gescheitert, und es würde ihm schwer fallen, zu erklären, was hier geschehen war, aber vielleicht bestand doch noch Hoffnung, dass er wenigstens mit dem Leben davonkam.
»Hierher!«, rief er mit letzter Kraft. »Ich bin hier!«
Die Stimmen wurden lauter, das Licht von Fackeln und Laternen fiel in die Halle. Gestalten erschienen im Eingang, Zwerge und Elben. Entsetzen zeichnete sich auf ihren Gesichtern ab, als sie das Inferno wahrnahmen, das in der Halle tobte.
Aber sie überwanden ihren Schrecken rasch. Illurien erteilte einige knappe Befehle. Einige der Zwergen- und Elbenkrieger kamen auf Lhiuvan zugeeilt, während sich die Herrin und die wenigen Elbenmagier in ihrer Begleitung dem Tor zuwandten. Lhiuvan konnte spüren, wie sie bereits gegen die zerstörerischen Energien ankämpften und sie einzudämmen versuchten, bevor sie es erreichten.
»Meine Beine«, stöhnte er. »Ich kann mich nicht bewegen.«
»Wir müssen die Steinplatte anheben!«, rief Warlon. Zwerge und Elben griffen nach dem Brocken. Mit vereinten Kräften gelang es ihnen, ihn anzuheben. Zwei der Elben ergriffen Lhiuvan an den Schultern und zogen ihn darunter hervor. Bei jeder Bewegung pulste wiederum schier unerträglicher Schmerz durch seinen Körper, stieß ihn in ein Delirium, in dem er nicht mehr zwischen Wahn und Wirklichkeit zu unterscheiden vermochte.
Fast besinnungslos hing er im Griff der beiden Elben, als diese ihn hochhoben. Seine Beine baumelten wie tote Anhängsel herab, schmerzten nicht einmal mehr.
ICH ERKENNE DICH, meinte er plötzlich ein weiteres Mal die grausame Eisesstimme in seinem Kopf zu hören. WIR SIND UNS SCHON EINMAL BEGEGNET!
Gleichzeitig zuckte trotz der Bemühungen der Magier ein weiterer Blitz auf, direkt aus dem Tor heraus, auf ihn und die beiden Elben zu, die ihn trugen, hüllte sie in grelles Licht und schleuderte sie zurück.
Dann versank die Welt um ihn herum in Dunkelheit.
7
DIE TZUUL
Thalinuels
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