Elbenschswert
Artus’ Pferd waren bereits gesattelt und
einer der Stallburschen wartete mit zwei Lanzen auf sie,
deren Wimpel durch lange, strahlend weiße Fahnentücher
ersetzt worden waren. Seinem Gesichtsausdruck nach zu
urteilen war er ebenso fassungslos und erstaunt, wie es die
Ritter gerade gewesen waren – die Bedeutung einer weißen Fahne war wohl jedermann klar, aber ebenso klar
musste es bisher jedem gewesen sein, dass Artus ein solches Friedenszeichen niemals tragen würde.
Camelot erwachte rings um sie herum, während sie in
scharfem Tempo zum Stadttor ritten. Artus hatte zwar
befohlen, die Bevölkerung nicht aus dem Schlaf zu reißen,
aber er hatte ebenso angeordnet, einen Großteil der Truppen, die noch in der Stadt stationiert waren, zur Mauer zu
verlegen. Sie kamen an drei mit trockenem Brennholz und
Fässern voller Öl und Pech hoch beladenen Ochsenkarren
vorbei, die lautstark in Richtung Stadtmauer rumpelten.
Außerdem machte Camelot in einem Punkt keine Ausnahme: Schlechte Nachrichten besaßen hier Flügel, auf
denen sie sich schneller als der Wind verbreiteten. Als sie
das Stadttor erreichten, brannte in nahezu jedem zweiten
Haus bereits Licht und die Stille, die vorhin geherrscht
hatte, war einem dumpfen Poltern und halblauten Stimmen
gewichen. Camelots Einwohner hatten Artus’ Geschenk
einer letzten Nacht voller Frieden nicht angenommen.
Das Stadttor war geschlossen und ein etwas übereifriger
Wächter hatte auch das schwere Fallgitter dahinter bereits
heruntergelassen. Als sie näher kamen und Artus eine entsprechende Geste machte, beeilten sich die Männer zwar
das Gitter hochzuziehen und die schweren Torflügel zu
öffnen, aber sie mussten doch einen Moment warten, bis
der entstandene Spalt breit genug war, um ihre Pferde hintereinander durchzulassen.
Lancelot nutzte die Gelegenheit, die Frage zu stellen, die
ihm die ganze Zeit schon auf der Zunge brannte.
»Warum ich, Artus?«
Zuerst schien es, als wolle Artus gar nicht auf diese Frage reagieren, aber dann wandte er doch den Kopf, schob
das Helmvisier hoch und sah Lancelot ernst und durchdringend an. »Wisst Ihr das wirklich nicht?«
Lancelot schüttelte den Kopf und der Ausdruck in Artus’
Augen wurde noch ernster.
»Wenn es wirklich so ist, mein Freund, dann hat es auch
keinen Sinn, wenn ich es Euch erkläre.« Er hob die Schultern. »Nehmt an, dass ich jemanden an meiner Seite wissen möchte, dem ich vorbehaltlos vertrauen kann.«
Damit wusste Lancelot nun gar nichts anzufangen.
Artus konnte jedem seiner Ritter vorbehaltlos vertrauen.
Jeder einzelne der Männer, mit denen sie gerade oben an
der Tafelrunde gesessen hatten, hätte ohne zu zögern sein
Leben geopfert um Artus zu retten.
Das Tor hatte sich einen genügend großen Spalt geöffnet
und sie bückten sich unter dem quietschend in die Höhe
gleitenden Fallgitter hindurch und lenkten ihre Pferde
durch die schmale Lücke, die hinter ihnen sofort wieder
geschlossen wurde. Noch bevor sie sich weiter als zehn
Schritte vom Tor entfernt hatten, konnten sie das dumpfe
Rumpeln hören, mit dem der schwere Riegel wieder an
seinen Platz gerückt wurde. Artus ließ sein Pferd ein wenig schneller traben, fiel jedoch nicht in Galopp, sondern
hielt ein scharfes, aber nicht über die Maßen kräftezehrendes Tempo bei, das sie rasch auf die nach Norden führende Straße brachte. Während sie sich von der Stadt entfernten, sah Lancelot noch einmal auf Camelot zurück. Die
Stadt lag so finster hinter ihnen wie ein gewaltiger, von
Menschenhand geschaffener Berg, aber sie hatte jetzt eine
beinahe unheimliche Ähnlichkeit mit dem Bild, das auch
der Horizont vor ihnen bot. Über den Zinnen lag ein rötlicher Schein und hinter unzähligen Schießscharten und
schmalen Fenstern flackerte rotes Fackellicht. Der Anblick
war unheimlich und zugleich so einschüchternd, dass er
sich einen Moment lang ernsthaft fragte, ob vielleicht
Mandrake nicht doch Recht gehabt hatte. Es erschien ihm
einfach unvorstellbar, dass irgendeine Armee von Menschen diese Festung stürmen konnte. Schon der äußere
Mauerring Camelots war acht Meter hoch; mehr als zehn,
wenn man die Brustwehr und die Zinnenkrone mitrechnete, hinter der die Verteidiger vor nahezu jedem Angriff
sicher waren. Und selbst wenn es ein Angreifer schaffen
sollte, diese uneinnehmbar wirkende Festung zu stürmen,
so erwartete ihn dahinter nicht eine wehrlose Stadt, sondern gleich vier weitere, jeweils ein gutes Stück
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