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Elbenschswert

Titel: Elbenschswert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Wehrgängen und im Inneren der Türme brannten. Obwohl Artus angeblich nicht
mehr mit einem Angriff in dieser Nacht rechnete, schien
die Mauer doch voll besetzt zu sein und die Männer hatten
auch die Feuer unter den Ölkesseln nicht gelöscht.
»War es schlimm, Herr?«, fragte der andere Posten.
»Entsetzlich«, antwortete Lancelot, ohne den Mann anzusehen.
»Aber Ihr habt den Angriff zurückgeschlagen?« Sonst wär’ ich kaum hier, dachte Lancelot. Aber er
sprach die Worte nicht aus; er wollte diesen Mann nicht
auch vor den Kopf stoßen. »Zweimal«, antwortete er mit
einem Nicken, allerdings noch immer ohne den Blick von
dem blutig roten Himmel im Norden zu nehmen. »Ich
glaube nicht, dass sie es heute noch einmal versuchen
werden. Sie haben einen hohen Preis für diesen Angriff
bezahlt.«
»Und … wir?«, fragte der Soldat.
»Einen noch höheren«, murmelte Lancelot. Er sprach so
leise, dass er nicht sicher war, ob der Mann ihn verstand,
aber als er ihm schließlich doch ins Gesicht sah, erkannte
er, dass er seine Worte sehr wohl gehört hatte und auch
wissen musste, wie sie gemeint waren. Der Wächter sah
betroffen und verängstigt drein. Die Angst war zu einem
treuen Begleiter jedes Menschen in den Mauern dieser
Stadt geworden.
»Aber Ihr werdet sie zurückschlagen, nicht wahr?«
Lancelot spürte genau, welche Antwort der Mann von
ihm erwartete. Aber er sagte nichts. Er sah ihn nur an und
nach einem schier endlosen Augenblick drehte sich der
Soldat niedergeschlagen weg und ging zu seinem Kameraden zurück. Lancelot fragte sich, warum er nicht so
barmherzig gewesen war, ihn zu belügen, auch wenn der
Mann ihm wahrscheinlich gar nicht geglaubt hätte. Er hatte eine Lüge von ihm hören wollen, nur noch ein einziges
Mal eine Nacht voller Hoffnung, auch wenn er insgeheim
genau wusste, wie falsch sie war.
Aber vielleicht war die Zeit der Lügen für Lancelot vorbei. Tief in sich begriff er zwar, dass sie niemals ganz
vorüber sein würde. Sein ganzes Leben, er selbst , zumindest das Selbst, das er nun war, war im Grunde eine Lüge.
Aber wenn er schon gezwungen sein würde, das Leben
eines anderen zu führen, das nicht das seine war und das er
eigentlich niemals hatte führen wollen, dann konnte er
wenigstens zu sich selbst ehrlich sein.
Er wandte sich wieder nach Norden. Lange Zeit stand er
so da und starrte den Horizont an und endlich trat einer der
Krieger wieder leise an ihn heran und fragte schüchtern:
»Ich gehe nach unten und hole Brot für mich und meinen
Kameraden. Soll ich Euch etwas mitbringen?«
Lancelot lächelte flüchtig und schüttelte den Kopf.
»Nein«, sagte er. »Geht nur. Geht ruhig beide. Die Nacht
ist kalt und ihr solltet euch ein wenig aufwärmen. Ich halte
so lange hier für euch Wache.«
»Das ist sehr großzügig, Herr, aber wir –«
»Ich weiß, dass ihr euren Posten nicht verlassen dürft«,
unterbrach ihn Lancelot. »Keine Sorge. Ich werde euch
nicht beim König verraten. Geht ruhig – aber vergesst das
Wiederkommen nicht.«
Es war nicht nur reine Großzügigkeit. Die beiden Männer gingen tatsächlich, schon weil sie es gar nicht wagten,
ihm zu widersprechen, aber er hatte einfach allein sein
wollen. Vielleicht zum letzten Mal in seinem Leben.
Wieder verging eine lange Zeit. Es musste fast Mitternacht sein, als sich am Horizont im Norden etwas bewegte. Im ersten Moment konnte Lancelot nicht genau sagen,
was es war – aber dann erkannte er es. Die Lichter waren
in Bewegung geraten und schienen den Hügel herunterzukriechen, als wären die Feuer außer Kontrolle geraten und
fräßen sich jetzt durch das trockene Gras auf die Stadt zu.
Der dritte Angriff der Pikten stand kurz bevor. Artus hatte sich getäuscht. Die Angst der Barbarenkrieger vor der
Dunkelheit war offenbar nicht so groß wie die vor Mordred und seiner Mutter. Die Belagerer setzen zum dritten
und schwersten Sturm auf die Stadt an.
Es mussten drei- oder gar viermal so viele Krieger wie
bei den vorherigen Angriffen sein, die sich nun den Mauern näherten, und ganz plötzlich war die Luft voller lodernder Lichtpunkte, die Funkenschauer hinter sich herzogen und manchmal in kleinen, rasch aufblitzenden und
ebenso rasch wieder erlöschenden Explosionen vergingen.
Aber wie hatte sich Artus so täuschen können? Lancelot
wollte sich umwenden, um zurück zur Stadtmauer zu eilen
und seinen Platz bei den Verteidigern einzunehmen, doch
etwas hielt ihn zurück. Er trat so dicht an die Zinnen heran, wie er konnte, und

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